Rz. 147
Die Gewährung von family provision für Kinder ist die Ausnahme und wird in der Praxis regelmäßig auf die Fälle beschränkt, in denen diese behindert, minderjährig oder in Ausbildung sind. So bestimmt Sect. 3 (3) Inheritance Act, dass bei der Gewährung darauf abzustellen sei, in welcher Weise der Kläger bislang ausgebildet wurde oder künftig ausgebildet werden sollte. Uneheliche Kinder sind gleichberechtigt. Der Nasciturus zählt ebenfalls als Kind. Die Adoption des leiblichen Kindes durch Dritte lässt das Klagerecht entfallen. Enkelkinder können nicht als "Kinder" klagen, selbst wenn sie kraft Eintrittsrechts zu den gesetzlichen Erben gehören.
Rz. 148
Die Bedürftigkeit des Abkömmlings genügt für die Antragsberechtigung nicht. Nur ausnahmsweise wurde bei Hinzutreten weiterer Umstände das Übergehen eines Abkömmlings als unreasonable bewertet, also eine moralische Verpflichtung zur Einsetzung eines Vermächtnisses angenommen. In Re Coventry wurde noch ausgeführt, bei volljährigen Kindern, die in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, sei die Klage nur "in the most exceptional circumstances" begründet. Das wurde aber jedenfalls dann bejaht, wenn sich die Kinder in Ausbildung oder im Studium befanden. Neuerdings tendieren die Entscheidungen des Court of Appeal jedoch dazu, erwachsenen nicht behinderten Kindern unter weniger strengen Voraussetzungen family provision zuzusprechen (Re Hancock), so dass der Ansatz in Re Coventry wohl keine Gültigkeit mehr hat. Es wird nun betont, dass die Gesetzesformulierung "moralische Verpflichtung" allein dahingehend zu verstehen sei, dass keine gesetzliche Verpflichtung bestehe. Das Bestehen einer Verpflichtung zur testamentarischen Bedenkung der Kinder ist aber weiterhin nicht selbstverständlich.
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In Re Debenham hatte die Mutter ihrer 58-jährigen epileptischen Tochter aus einem Nachlass von 172.000 £ lediglich einen Betrag von 200 £ hinterlassen. Das Gericht sprach der Tochter einen sofort fälligen Betrag von 3.000 £ und eine jährliche Rente von 4.500 £ zu. |
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In Sivyer v. Sivyer leitete das Gericht aus der Herkunft des Vermögens aus dem Vermögen der leiblichen Mutter der Klägerin eine Verpflichtung des Vaters ab, dafür zu sorgen, dass das Vermögen nicht vollständig auf die Stiefmutter der Klägerin übergeht. |
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In Re Abram hatte der Sohn 17 Jahre lang zu einem geringen Gehalt im Betrieb der Eltern gearbeitet – wohl in Erwartung, diesen später zu übernehmen. Als er das Elternhaus allerdings verließ, um mit seiner Frau zusammenzuleben, enterbte die Mutter ihn. Hier nahm das Gericht eine moral obligation der Eltern an, den Sohn testamentarisch zu bedenken. |
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In Re Goodchild wurde im Rahmen eines gegenseitigen Ehegattentestaments mit Letztbegünstigung des gemeinsamen Sohnes zwar eine Verpflichtung des letztverstorbenen Erblassers verneint, das Testament nicht zu widerrufen. Eine moral obligation, den Sohn nicht zu enterben, wurde aber zumindest bzgl. des von der vorverstorbenen Ehefrau erworbenen Nachlasses bejaht, da diese auf eine Verpflichtung des Ehemannes, die Verfügung nicht zu widerrufen, vertraut habe. |
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In Challinor v. Challinor wurde einer erwachsenen Tochter, die am Down-Syndrom litt, aus einem Nachlass im Gesamtwert von 300.000 £ ca. ein Drittel zugesprochen. |
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Im Fall Illot v. The Blue Cross and others hatte die Tochter der Erblasserin das Elternhaus bereits mit 17 Jahren verlassen. Bis zum Tod der Erblasserin, mehr als 26 Jahre lang, hatten beide keinen Kontakt mehr miteinander, da die Mutter nicht damit einverstanden war, dass die Tochter in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebte. Die Erblasserin vermachte ihr gesamtes Vermögen im Wert von rund 486.000 £ wohltätigen Organisationen. Die Tochter, die mit ihren fünf Kindern in finanziell schwierigen Verhältnissen lebte, wurde enterbt. In erster Instanz erhielt sie aufgrund der Bedürftigkeit 50.000 £ zugesprochen. Das Berufungsgericht erhöhte diesen Betrag auf 184.000 £, damit die Tochter sich die bewohnte Immobilie kaufen könne und sozialrechtliche Nachteile aus der Gewährung der family provision ausgleichen könne. Der erstinstanzliche Richter habe der Bedürftigkeit der Tochter nicht genügend Achtung geschenkt. Der englishe Supreme Court dagegen stellte die erstinstanzliche Entscheidung wieder her. Die Testierfreiheit sei ein hohes Gut und vom Gericht zu beachten. Die Testatorin habe im Testament deutlich gemacht, aus welchen Gründen sie die Tochter enterbe. Hinzu komme, dass aufgrund der langen Entfremdung die Tochter nichts mehr erwarten konnte. |