Rz. 122
Seit Inkrafttreten der EuErbVO kommt es aus deutscher Sicht bei der objektiven Anknüpfung auf die Staatsangehörigkeit des Erblassers nicht mehr an. Der deutsche Erblasser mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland wird ausschließlich nach deutschem Erbrecht beerbt. Für seine im Vereinigten Königreich belegenen Immobilien gilt zwar aus Sicht der dortigen Gerichte das dortige Erbrecht als Belegenheitsrecht. Jedoch kommt ein "vorrangiges Einzelstatut" i.S.v. Art. 3a Abs. 2 EGBGB a.F. nach Art. 30 EuErbVO nicht in Betracht. Vielmehr wird insoweit im deutsch-britischen Verhältnis ein internationaler Entscheidungsdissens eintreten.
Rz. 123
Hatte der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Vereinigten Königreich, so verweist Art. 21 EuErbVO auf das Recht des Vereinigten Königreichs. Mangels eines einheitlichen interlokalen Kollisionsrechts i.S.v. Art. 36 Abs. 1 EuErbVO im Vereinigten Königreich ist gem. Art. 36 Abs. 2 lit. a EuErbVO unmittelbar das Recht der jeweiligen Teileinheiten Schottland, Nordirland oder England und Wales anzuwenden. Sollte der Erblasser kein domicile im Vereinigten Königreich begründet haben – weil er sich dort zwar langfristig aufhielt, der Aufenthalt aber z.B. berufsbedingt begründet worden war oder aus anderen Gründen mit einer Rückkehr nach Deutschland zu rechnen war, so tritt regelmäßig für das bewegliche Vermögen eine Rückverweisung auf das deutsche Recht ein. Dasselbe gilt für in Deutschland belegene Immobilien. Deutsches Recht gilt auch, wenn der Erblasser dieses gewählt hatte, Art. 22 EuErbVO. Allenfalls im Vereinigten Königreich belegene Immobilien vererben sich dann noch nach dem englischen bzw. schottischen Recht.
Rz. 124
Ein britischer Erblasser wird hinsichtlich seines gesamten Vermögens nach deutschem Recht beerbt werden, sollte er seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. Art. 21 EuErbVO in Deutschland gehabt haben. Das gilt aus Sicht der EuErbVO unabhängig davon, ob er überhaupt in Deutschland ein domicile i.S.d. englischen Rechts begründet hatte und ob er Immobilien im Vereinigten Königreich hinterlassen hatte. Durch Rechtswahl gem. Art. 22 EuErbVO kann er das Recht des Vereinigten Königreichs als sein Heimatrecht wählen. Eine direkte Wahl englischen oder walisischen oder schottischen Rechts kommt mangels Bestehens einer solchen Staatsangehörigkeit nicht in Betracht. Die objektiv bestimmte "engste Verbindung" entscheidet dann gem. Art. 36 Abs. 2 lit. b EuErbVO darüber, ob englisches, nordirisches oder schottisches Erb- und Pflichtteilsrecht anzuwenden ist. Eine direkte Wahl "englischen Rechts" ist also vom Gesetzeswortlaut her ausgeschlossen.
Rz. 125
Die family provision wird aus englischer Sicht nur bei domicile des Erblassers in England oder Wales gewährt. Aus deutscher Sicht ist umstritten, wie die family provision kollisionsrechtlich einzuordnen (zu qualifizieren) ist. Zunächst könnte man daraus, dass sie an der Bedürftigkeit des Berechtigten bemessen und ggf. als laufende Rente gezahlt wird, eine unterhaltsrechtliche Qualifikation herleiten. Wesentlich für die Qualifikation dürfte aber nicht die Art der Berechnung und Auszahlung sein, sondern der Umstand, dass die entsprechenden Ansprüche auf Beiträge zur Sicherung des Unterhalts erst mit dem Tod des Erblassers entstehen und es sich nicht um familienrechtliche Unterhaltsansprüche handelt, die nach dem Tod des Verpflichteten als Nachlassverbindlichkeiten weiterlaufen. Hinzu kommt, dass mit der Neufassung des Gesetzes 1975 und durch die neuere Rechtsprechung zur family provision für Kinder (siehe Rdn 147) der Unterhaltsaspekt bei der Prüfung, ob die Zuwendung "reasonable" ist, zunehmend durch andere Aspekte verdrängt wird. Daher ist die family provision erbrechtlich zu qualifizieren.
Rz. 126
Daher wird man die family provision als "etwaige Ansprüche von Personen, die dem Erblasser nahe stehen, gegen den Nachlass oder gegen den Erben" i.S.v. Art. 23 Abs. 2 lit. h EuErbVO erfassen. Dies gilt umso mehr, als Art. 1 Abs. 2 lit. e EuErbVO Unterhaltspflichten ausdrücklich dann nicht vom Anwendungsbereich der Verordnung ausnimmt, wenn diese mit dem Tod entstehen. Selbst bei Einordnung als "Unterhaltsansprüche" wäre daher nicht zwingend der Weg in die EU-Unterhaltsverordnung und das HUP vorgegeben, sondern die erbrechtliche Qualifikation vorzuziehen.
Rz. 127
Das Problem der Nachlassspaltung wird sich dabei unter der EuErbVO in erheblich reduziertem Rahmen stellen: Hatte der – deutsche oder englische – Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, so gilt deutsches Pflichtteilsrecht für den gesamten Nachlass, auch für Immobilien im Vereinigten Königreich, da eine Art. 3a Abs. 2 EGBGB a.F. vergleichbare Regelung nicht mehr existiert. Eine Kumulation englischer und deutscher Pflichtteile kann auftreten, wenn der Erblasser einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und ein domicile in England hatte. Hier wird aber der englische Richter im Rahmen seiner Ermessensentscheidung, wie vie...