Rz. 79
Das französische Zivilrecht enthält den allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass auf noch nicht entstandene Rechte nicht wirksam verzichtet werden kann. Dementsprechend kann vor Eintritt des Erbfalls auf Erb- und Pflichtteilsrechte nicht verzichtet werden, Art. 791, 722, 1130 Abs. 2 c.c. Dies gilt selbst dann, wenn der Verzichtende eine angemessene Abfindung erhält. Auch auf das Umsetzungsrecht können die Verwandten nicht verzichten, Art. 759–1 S. 1 c.c.
Rz. 80
Dieses Verbot ist durch die Reform 2006 ein wenig gelockert worden. Gem. Art. 929, 930 c.c. kann ein Pflichtteilsberechtigter bereits vor Eintritt des Erbfalls durch einseitige Erklärung dem Erblasser gegenüber in Bezug auf das ganze oder einen Teil des Pflichtteilsrechts auf die Erhebung der Herabsetzungsklage verzichten (renonciation anticipée à l’action en réduction – RAAR). Der Verzicht kann nicht allgemein, sondern zugunsten nur einer oder mehrerer genannter Personen erfolgen. Möglich ist auch, dass der Verzicht in Bezug auf eine bestimmte Verfügung (Schenkung oder Vermächtnis) erklärt wird, Art. 929 Abs. 3 c.c. Der Verzicht muss durch jeden Verzichtenden einzeln erklärt und durch zwei Notare beurkundet werden – wobei einer der beiden Notare durch die (französische) Notarkammer zu bestimmen ist, Art. 930 Abs. 1 c.c. Der Verzicht kann gem. Art. 930–3 Ziff. 2 c.c. vom Verzichtenden z.B. widerrufen werden, wenn er bei Eintritt des Erbfalls bedürftig geworden ist und der Widerruf des Verzichts die Bedürftigkeit beheben würde. Ungeklärt ist, ob eine Beurkundung auch durch ausländische Notare erfolgen kann. Diese wird in Frankreich vielfach für unwirksam gehalten, weil in diesem Fall der zweite Notar nicht durch die Notarkammer bestimmt worden sei. M.E. ist allerdings in diesem Fall Art. 27 EuErbVO entsprechend anzuwenden und daher z.B. bei Beurkundung durch einen deutschen Notar der Verzicht aufgrund Einhaltung der deutschen Ortsform formell wirksam.
Rz. 81
Gem. Art. 1054 Abs. 2 c.c. kann der Empfänger einer Schenkung mit Nacherbeneinsetzung durch Erbverzichtsvertrag i.S.v. Art. 930 c.c. dem Schenker zugestehen, dass die Schenkung auf seinen Pflichtteil angerechnet wird. Auch hierin ist ein teilweiser Verzicht auf das Vorbehaltserbrecht zu sehen, da dieses lastenfrei zu gewähren ist und nicht mit der Nacherbfolge beschwert werden darf.