1. Allgemeines
Rz. 383
Die Europäische Erbrechtsverordnung gilt in der Schweiz nicht. Mit der Anknüpfung an den Wohnsitz des Erblassers gelangt das schweizerische internationale Erbrecht aber häufig zu den gleichen Ergebnissen wie die EuErbVO. Um hier eine weitergehende Harmonisierung des schweizerischen Erbkollisionsrechts mit der EuErbVO zu erreichen, wurde im Parlament eine Reform eingeleitet, die das schweizerische IPRG durch kleinere Korrekturen weiter an die EuErbVO angleichen soll. Allerdings ist zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Werks die Initiative noch nicht Gesetz geworden.
Rz. 384
Das Erbstatut wird aus schweizerischer Sicht an den Wohnsitz des Erblassers angeknüpft. So unterstellt Art. 90 Abs. 1 des schweizerischen Bundesgesetzes über das IPR vom 18.12.1987 (IPRG) den Nachlass einer Person mit letztem Wohnsitz in der Schweiz dem schweizerischen Recht; nach Art. 91 Abs. 1 IPRG gilt für den Nachlass einer Person mit letztem Wohnsitz im Ausland das "Recht, auf welches das Kollisionsrecht des Wohnsitzstaates verweist". Im Rahmen der Reform soll hier ausdrücklich klargestellt werden, dass nach Verweisung auf ein ausländisches Recht, das auf das schweizerische Recht zurückverweist, es bei der Geltung des ausländischen Rechts verbleibt. Das entspricht der auch bislang praktizierten foreign court theory. Art. 20 Abs. 1 lit. a IPRG definiert den für die Anknüpfung im IPR maßgeblichen Wohnsitz einer natürlichen Person dahingehend, dass er sich in dem Staat befindet, in dem sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Ein doppelter Wohnsitz ist gem. Art. 20 Abs. 2 S. 1 IPRG nicht möglich. Damit kommt der "Wohnsitz" des schweizerischen Rechts dem "gewöhnlichen Aufenthalt" i.S.d. EuErbVO inhaltlich nahe. Eine Übernahme des gewöhnlichen Aufenthalts aus der EuErbVO lehnt man aber ab.
Rz. 385
Gem. Art. 90 Abs. 2 IPRG können in der Schweiz lebende Ausländer durch letztwillige Verfügung oder Erbvertrag den Nachlass ihrem bzw. (für den Fall eines Doppel- oder Mehrstaaters) einem ihrer Heimatrechte unterstellen. Diese Rechtswahl wird unwirksam, wenn der Erblasser die betreffende Staatsangehörigkeit bei seinem Tod nicht mehr besitzt oder wenn er Schweizer Bürger geworden ist. Hieraus folgt, dass Mehrstaater, die auch Schweizer Bürger sind, nur die Wahl zwischen dem schweizerischen Recht und ihrem Wohnsitzrecht haben. Durch die Reform sollen diese Einschränkungen der Rechtswahl aufgegeben werden.
Rz. 386
Das schweizerische Recht folgt damit dem Grundsatz der Nachlasseinheit. Allerdings ist eine auf den in der Schweiz belegenen Nachlass gegenständlich beschränkte Rechtswahl möglich (siehe Rdn 391). Eine weitere Ausnahme von der Nachlasseinheit enthält Art. 86 Abs. 2 IPRG. Danach tritt die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte für die Erbfolge nach einer mit letztem Wohnsitz in der Schweiz verstorbenen Person insoweit zurück, wie ein Staat für die auf seinem Gebiet belegenen Grundstücke eine ausschließliche Zuständigkeit vorsieht. Das gilt vornehmlich für das Vereinigte Königreich und andere Staaten des angloamerikanischen Rechtskreises sowie vormals auch für Frankreich. In diesen Fällen wird eine damit einhergehende Nachlassspaltung akzeptiert. Bei der Nachlassspaltung soll aber eine "Koordinierung" des Pflichtteilsschutzes vorgenommen werden. Welche Arten von Widersprüchen zum Wohnsitzrecht hierbei hingenommen und welche korrigiert werden, bleibt aber unklar.
Rz. 387
Ihre Grenze findet die Anwendung ausländischen Rechts im internationalen ordre public, Art. 17 IPRG. Inwieweit die Versagung von Pflichtteilen durch ein ausländisches Erbstatut gegen den internationalen ordre public der Schweiz verstoßen kann, ist umstritten. Das Bundesgericht hatte es in einem Fall akzeptiert, dass ein seit langem in der Schweiz lebender Erblasser, der seine zweite Ehefrau testamentarisch zur Alleinerbin eingesetzt hatte, seinen Nachlass dem englischen Heimatrecht unterstellt und auf diese Weise seiner Tochter aus erster Ehe den ihr nur nach schweizerischem, nicht aber nach englischem Recht zustehenden Pflichtteil entzog.
Rz. 388
Für die Formwirksamkeit letztwilliger Verfügungen gilt das Haager Testamentsformübereinkommen, dessen Bestimmungen über Art. 93 Abs. 2 IPRG auch auf andere Verfügungen von Todes wegen, insbesondere auf Erbverträge, Erbverzichtsverträge und Schenkungen von Todes wegen, erstreckt werden. Die materielle Wirksamkeit von Erbverträgen und gegenseitigen Verfügungen ergibt sich aus einem an den Wohnsitz zur Zeit der Vornahme angeknüpften Errichtungsstatut, Art. 95 IPRG.