Rz. 242
Der Pflichtteil gewährt eine unmittelbare dingliche Beteiligung in Höhe der Noterbquote am Nachlass, Art. 70 ErbG. Die Pflichtteilsquote beträgt für leibliche und adoptierte Abkömmlinge und den (vom Erblasser nicht faktisch getrennt lebenden, siehe Rdn 240) Ehegatten, den Partner aus einer gesetzlich anerkannten verschiedengeschlechtlichen nichtehelichen Lebensgemeinschaft sowie seit dem 1.9.2014 den Partner aus einer eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Die Eltern gehören nach dem neuen ErbG nicht mehr absolut zu den Pflichtteilsberechtigten. Sie können allenfalls bei Bedürftigkeit Ansprüche gegen den Nachlass geltend machen (relative Pflichtteilsberechtigung), soweit sie zur gesetzlichen Erbfolge berufen wären. Der Pflichtteil der Aszendenten beträgt dann ein Drittel des gesetzlichen Erbteils. Scheidet ein Pflichtteilsberechtigter kraft Ausschlagung oder aus anderem Grund aus, wächst sein Anteil dem anderen Pflichtteilsberechtigten nicht zu.
Rz. 243
Der Ehegatte sowie die mit dem Erblasser gemeinsam lebenden Abkömmlinge erhalten den zur Befriedigung der täglichen Bedürfnisse dienenden Hausrat – soweit dieser nicht erheblichen Wert hat – als gesetzlichen Voraus, ohne dass dieser bei der Berechnung des Pflichtteils einbezogen oder angerechnet wird, Art. 38 ErbG. Auch können Abkömmlinge, die mit dem Erblasser gemeinsam gewirtschaftet haben, vorab einen Ausgleich für den Wert verlangen, um den ihre (Mit-)Arbeit das Vermögen des Erblassers erhöht hat, Art. 37 ErbG. Lebten die Eheleute im gesetzlichen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft, ist das eheliche Gesamtgut vor Nachlassauseinandersetzung zu teilen.
Rz. 244
Zur Berechnung des Pflichtteils werden dem Nachlass ohne zeitliche Befristung sämtliche lebzeitigen Geschenke des Erblassers an einen der gesetzlichen Erben zugerechnet, und zwar auch dann, wenn der Empfänger die Erbschaft ausgeschlagen hat. Geschenke an eine Person, die nicht zu den gesetzlichen Erben gehört, unterliegen der Pflichtteilsergänzung, wenn die Schenkung innerhalb eines Jahres vor dem Erbfall erfolgte.
Rz. 245
Eine Entziehung des Pflichtteils ist durch ausdrückliche testamentarische Anordnung möglich, wenn der Noterbe eine schwerwiegende rechtliche oder moralische Verfehlung wider den Erblasser begangen hat, eine schwere Straftat gegen ihn, seinen Ehegatten, sein Kind oder einen Elternteil begangen hat oder einen ehrlosen Lebenswandel führt, Art. 86 ErbG. Einem verschwenderischen oder überschuldeten Abkömmling darf der Pflichtteil nur zugunsten dessen minderjähriger oder erwerbsunfähiger Abkömmlinge entzogen werden (Pflichtteilsentziehung in guter Absicht, Art. 88 ErbG). Darüber hinaus hat der Erblasser die Möglichkeit, ein "Noterbrecht" des Pflichtteilsberechtigten auszuschließen und zu bestimmen, dass dieser seinen Pflichtteil in Geld oder in Form von bestimmten Gegenständen des Nachlasses erhält.
Rz. 246
Das Pflichtteilsrecht ist durch Anfechtung der testamentarischen Verfügungen oder auch erforderlichenfalls der lebzeitigen Schenkungen des Erblassers im Nachlassverfahren (ggf. im Zivilprozess) geltend zu machen. Es verjährt in drei Jahren seit Eröffnung des Testaments. Bei beeinträchtigenden Schenkungen beginnt die Verjährung mit dem Tod des Erblassers (Art. 46 ErbG). Die Erhebung einer Herabsetzungsklage ist nur erforderlich, wenn der Testamentserbe das Noterbrecht nicht anerkennt.
Rz. 247
Der vertragliche Verzicht auf den Pflichtteil zu Lebzeiten des Erblassers fällt unter das Verbot der Erbverträge. Allerdings ergibt sich aus Art. 134 ErbG die Möglichkeit, dass ein Abkömmling des Erblassers mit diesem durch schriftlichen Vertrag die Erbfolge bereits zu Lebzeiten bindend ausschlägt. Ein entsprechender Erbverzicht ist auch zwischen Eheleuten möglich. Freilich ist diese Ausschlagung auf das gesamte Erbteil bezogen, kann also nicht auf einen Pflichtteil oder einen bestimmten Pflichtteilsergänzungsanspruch beschränkt werden. Er erfasst allerdings, soweit vereinbart, den gesetzlichen wie auch den testamentarischen Erbteil. Der Erbverzichtsvertrag muss gerichtlich oder notariell beurkundet werden. Es genügt zur Formwirksamkeit auch, wenn dieser schriftlich errichtet und anschließend vom Notar in die Form eines Notariatsakts gebracht worden ist.