Rz. 9
Bereits durch Gesetz vom 31.7.2017 über die Reform des belgischen Erbrechts ist das belgische Pflichtteilsrecht geändert worden – während die Regeln über die gesetzliche Erbfolge weitgehend unberührt blieben. Entsprechend einer europaweiten allgemeinen Tendenz werden die Gestaltungsmöglichkeiten des Erblassers erweitert und das Pflichtteilsrecht beschränkt.
Die Regeln sind weitgehend in die Art. 4.145 ff. des neuen Buch 4 des c.c. übernommen worden.
Der Pflichtteil des Ehegatten besteht in einem Nießbrauch an der Ehewohnung und am Hausrat. Der Nießbrauch erfasst aber zumindest die Hälfte des Nachlasses, Art. 4.147 c.c. Besteht der Nachlass also ausschließlich aus (einem Anteil am) Eigenheim und Hausrat, erstreckt sich der Nießbrauch auf den gesamten Nachlass. Er bezieht sich dabei anteilig auf den freien wie auch auf den pflichtteilsgebundenen Nachlass. Sind die Eheleute seit mehr als sechs Monaten faktisch getrennt und hat das Gericht die getrennte Wohnung bestätigt oder einer der Ehegatten die Scheidung beantragt, entfällt der Ehegattenpflichtteil, Art. 4.147 § 4 c.c. Es bleibt dem überlebenden Ehegatten dann ein Unterhaltsanspruch gegen den Nachlass, Art. 205bis § 1 c.c. Eine gerichtliche Trennung der Eheleute von Tisch und Bett sowie die Scheidung schließen das Erb- und Pflichtteilsrecht aus.
In einem Vertrag zur einverständlichen Regelung dieser Verfahren können die Eheleute schon für die Zeit nach Einleitung des gerichtlichen Trennungs- bzw. Scheidungsverfahrens wechselseitig auf das Erbrecht verzichten, Art. 1287 Abs. 2 belg. ZPO.
Rz. 10
Der Pflichtteil der Verwandten war nach dem bislang geltenden Recht ein sog. Noterbrecht. Der Pflichtteil gewährte den Berechtigten eine unmittelbare Beteiligung am Nachlass in natura. Im Rahmen der Reform durch das Gesetz vom 31.7.2017 wurde allerdings – wie in Frankreich – der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf einen Geldanspruch geändert. Er erhält also künftig nicht mehr einen pars bonorum bzw. kann auf eine Beteiligung an dem Nachlass verwiesen werden, sondern kann von den testamentarischen Erben die Auszahlung seines Pflichtteils in Geld (réduction en valeur) verlangen, Art. 4.150 Abs. 2, Art. 156 § 2 c.c. Der Anspruch verjährt gem. Art. 4.157 § 1 c.c. innerhalb von 30 Jahren nach Eintritt des Erbfalls. Ein Abkömmling ist allerdings von der Geltendmachung ausgeschlossen, wenn er seinen Pflichtteilsanspruch nicht spätestens bis zum Abschluss der Nachlassauseinandersetzung geltend gemacht hat.
Noterbberechtigt sind jetzt neben dem Ehegatten nur noch die Abkömmlinge, Art. 4.145 c.c. Hinterlässt der Erblasser keine Abkömmlinge oder einen Ehegatten, kann er über den gesamten Nachlass frei verfügen.
Die Reform vom 31.7.2017 hat die Pflichtteilsquote der Abkömmlinge reduziert. Diesen waren – bei drei oder mehr Kindern – ursprünglich drei Viertel des Nachlasses vorbehalten. Nunmehr ist den Abkömmlingen – ohne Rücksicht auf die Anzahl der Kinder – in allen Fällen nur noch die Hälfte des Nachlasses als Pflichtteil vorbehalten – ggf. belastet mit dem Nießbrauch des überlebenden Ehegatten.
Rz. 11
Der Ehegattennießbrauch im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge ließ ursprünglich den Pflichtteil von Abkömmlingen unberührt. Diese konnten also ihren Pflichtteil lastenfrei verlangen, auch wenn der Erblasser die Umsetzung des Nießbrauchs testamentarisch ausgeschlossen hatte. Nach der aktuellen Regelung aber belastet der dem Ehegatten im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge zustehende Nießbrauch, der sich gem. Art. 4.17 c.c. auf den gesamten Nachlass erstreckt, auch den Pflichtteil der Abkömmlinge, Art. 4.146 § 1c.c. Diese erhalten ihren Pflichtteil also noch nicht einmal sofort, sondern – effektiv gesehen – aufschiebend bedingt auf den Tod des überlebenden Ehegatten.
Rz. 12
Die Aszendenten können seit der Reform 2017 keinen Pflichtteil mehr geltend machen. Stattdessen können sie in diesem Fall gem. Art. 205bis § 2 c.c. allenfalls einen Anspruch auf Unterhalt gegen den Nachlass geltend machen.
Rz. 13
Im Rahmen der Geltendmachung des Pflichtteilsrechts können nicht allein testamentarische Verfügungen, sondern auch lebzeitige unentgeltliche Zuwendungen herabgesetzt werden, sofern dies zur Wiederherstellung des Pflichtteils erforderlich ist. Eine zeitliche Befristung für die Schenkungen besteht nicht. Bei der Anfechtung ist aber mit der zeitlich letzten Schenkung zu beginnen. Der Anspruch verjährt in 30 Jahren nach dem Eintritt des Erbfalls.
Rz. 14
Wie im französischen Recht können Eheleute durch Zuwendung des gesamten oder eines über die Hälfte hinausgehenden Anteils des Gesamtgutes auf güterrechtlicher Ebene (avantages matrimoniaux) Pflichtteilsrechte der Kinder ausschalten (siehe Rdn 89). Die Typen dieser güterrechtlichen Vereinbarungen entsprechen weitgehend französischem Muster. Als Schenkung gilt aber gem. Art. 2.3.57 Abs. 2 c.c. der die Hälfte übersteigende Teil der ehevertraglichen Zuwendungen des verstorbenen Ehegatten in das Gesamtgut. Geschützt gegen entsprechen...