Rz. 32
Der Pflichtteil (twangsarving) ist gem. Kap. 1 §§ 5, 10 ErbG der Teil des Nachlasses, über den der Erblasser nicht verfügen kann. Testamentarische Verfügungen, die den Pflichtteil verletzen, müssen nicht angefochten werden, sondern sind ipso iure unwirksam; die Pflichtteile sind also schon bei Auslegung des Testaments zu berücksichtigen. Der Pflichtteilsberechtigte erhält keinen Geldanspruch gegen die Erben, sondern wird selber Miterbe. Pflichtteilsberechtigt sind der Ehegatte, Kap. 1 § 10 ErbG, und die Abkömmlinge, Kap. 1 § 5 ErbG. Eltern sind nicht Zwangserben.
Rz. 33
Der Pflichtteil der Abkömmlinge beläuft sich seit Inkrafttreten der Erbrechtsreform am 1.1.2008 nicht mehr auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils der Abkömmlinge, sondern nur noch auf ein Viertel des gesetzlichen Erbteils. Der Ehegatte erhält ebenfalls nur ein Viertel seines gesetzlichen Erbteils als Pflichtteil. Auf diese Weise erhalten also der Ehegatte neben Kindern und die Kinder neben dem Ehegatten jeweils ein Achtel des Nachlasses als Pflichtteil. Darüber hinaus kann ein Erblasser mit entsprechend großem Vermögen den Pflichtteil eines Abkömmlings testamentarisch auf einen gesetzlich bestimmten Betrag begrenzen. Dieser Betrag belief sich ursprünglich auf 1 Mio. DKR, Kap. 1 § 5 Abs. 2 ErbG, und wird der Geldentwertung entsprechend jährlich durch das Finanzministerium angepasst, Kap. 1 § 97 ErbG. Für das Kalenderjahr 2023 wurde der Betrag durch Beschluss des Justizministeriums vom 30.11.2022 auf 1.410.000 DKR festgelegt. Darüber hinaus kann der Erblasser gem. Kap. 9 § 50 Abs. 2 ErbG anordnen, dass der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil in Geld erhält oder aber dass er bestimmte Nachlassgegenstände übernehmen kann, die er auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen muss.
Rz. 34
Eine weitere Beschränkung des Pflichtteils ist in der Weise möglich, dass der Erblasser das Erbe oder den Pflichtteil eines Abkömmlings "einfriert" (§§ 53 ff. ErbG), so dass der Erbe zwar die Erträge aus seinem Erbteil erhält, aber von lebzeitigen Verfügungen über den Stamm des Vermögens ausgeschlossen ist. Diese Maßnahme ist allerdings nur so lange wirksam, bis der Abkömmling das 25. Lebensjahr vollendet hat. Eine hierüber hinausgehende Festlegung ist gem. § 61 ErbG nur in Bezug auf die den Pflichtteil übersteigende Erbschaft möglich. In diesem Fall können auch die Gläubiger des Zwangserben nicht in die Substanz der Erbschaft vollstrecken.
Übrigens kann der Nachlass durch eine güterrechtliche Vereinbarung mit dem Ehegatten "halbiert" werden, wonach das Vermögen des überlebenden Ehegatten sein Sondergut bleibt, das Vermögen des zuerst versterbenden Ehegatten aber in die Gütergemeinschaft fällt und damit vor der Erbauseinandersetzung mit dem überlebenden Ehegatten hälftig zu teilen ist.
Rz. 35
Bei kleineren Nachlässen kann sich die Regelung auswirken, dass dem Ehegatten nach der Erbauseinandersetzung insgesamt Vermögen (also sein eigenes Vorbehaltsgut, sein Anteil aus der Auseinandersetzung der Gütergemeinschaft und seine erbrechtliche Beteiligung zusammengenommen) zu einem betragsmäßig festgelegten Mindestbetrag von 850.000 DKR verbleiben muss. Erbrechtliche Verfügungsbeschränkungen zugunsten des überlebenden Ehegatten bestehen gem. § 66 ErbG auch bzgl. seines Anteils am Familienheim und dem Hausrat, soweit sich dieser im ehelichen Gesamtgut befindet.
Rz. 36
Lebzeitige Schenkungen werden in die Berechnung nicht einbezogen. Sie können daher "bis zum letzten Atemzug" zur Pflichtteilsminderung eingesetzt werden.
Rz. 37
Ein Erb- und Pflichtteilsverzicht ist gem. § 42 Abs. 1 ErbG durch Vertrag mit dem Erblasser möglich. Der Verzicht gilt, soweit nicht anders vereinbart, auch für die Abkömmlinge des Verzichtenden. In gewisser Weise einem Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht gleich kommt die Zustimmung der nicht-gemeinschaftlichen Abkömmlinge zu einem Testament ihres Elternteils mit einer Klausel zur Fortsetzung der Gütergemeinschaft durch ihren Stiefelternteil. Ehegatten können durch Vereinbarung in einem Ehevertrag oder auf einem Testament auf ihr Recht zur Fortsetzung der Gütergemeinschaft verzichten.