§ 18 Länderübersicht / IV. Pflichtteilsrecht

1. Rechtsnatur

Rz. 203

Der Pflichtteil ist im italienischen Recht wie in den meisten anderen romanischen Rechtsordnungen als dinglich wirkendes Noterbrecht ausgestaltet. Die quota non disponibile ist der Teil des Vermögens, der letztwilligen Verfügungen wie auch Schenkungen unter Lebenden entzogen ist (vgl. Art. 553 ff. C.C.). Den Pflichtteil beeinträchtigende letztwillige Verfügungen und Schenkungen muss der Pflichtteilsberechtigte gerichtlich anfechten. Dann kann er die Sache sogar von Dritten herausverlangen, die vom Beschenkten bzw. testamentarischen Erben erworben haben.^[254] Dies gilt auch für Belastungen des Pflichtteils, wie z.B. die Errichtung eines trust, selbst dann, wenn der Pflichtteilsberechtigte alleiniger Begünstigter des trust ist.^[255] Der Berechtigte kann dann also die Errichtung des trust anfechten, soweit das in den trust eingebrachte Vermögen aus dem ihm vorbehaltenen Teil des Nachlasses stammt.

[254] Gabrielli, FamRZ 2005, 1616.

[255] So das Gericht Lucca, Entscheidung v. 23.9.1997, zitiert bei Kruis, Das italienische internationale Erbrecht, S. 236.

2. Pflichtteilsberechtigung

Rz. 204

Zu den pflichtteilsberechtigten Personen (legittimari) gehören gem. Art. 536 Abs. 1 C.C. der Ehegatte – sowie die Mitglieder einer eingetragenen Partnerschaft (unione civile), die ehelichen und unehelichen Kinder und die ehelichen Aszendenten (also auch die Großeltern, nicht aber die nichtehelichen Aszendenten). Im Rahmen der Erbfolge nach Stämmen rücken die weiter entfernten – ehelichen und unehelichen – Abkömmlinge in direkter Linie in die Position vorverstorbener näherer Abkömmlinge ein. Die angenommenen Kinder werden den ehelichen Kindern gleichgestellt, Art. 536 Abs. 2 C.C. Kein Erb- und Pflichtteilsrecht hat dagegen der nichteheliche Lebensgefährte (convivente di fatto).

Rz. 205

Pflichtteilsberechtigt sind gem. Art. 536 Abs. 1 C.C. zunächst die Abkömmlinge. Dies gilt uneingeschränkt auch für uneheliche Kinder. Zwar würde Art. 258 C.C., wonach die Anerkennung ein Verwandtschaftsverhältnis lediglich zum anerkennenden Elternteil begründet, einem Pflichtteilsrecht nach den Großeltern bzw. weiteren Aszendenten entgegenstehen – soweit es sich nicht schon um legitimierte Kinder handeln sollte. Art. 467 Abs. 1 C.C. jedoch erstreckt das Recht zur Repräsentation ausdrücklich auf die unehelichen Abkömmlinge der Kinder.

Rz. 206

Treffen uneheliche mit ehelichen Kindern zusammen, konnten die ehelichen Kinder – nach allg. Ansicht auch der Ehegatte – gem. Art. 537 Abs. 3 C.C. in der am 23.12.2013 aufgehobenen Fassung das uneheliche Kind in Geld oder Nachlassgrundstücken abfinden und so von der Erbengemeinschaft ausschließen (facoltà di commutazione). Dies galt ungeachtet dessen, ob das uneheliche Kind aufgrund gesetzlicher Erbfolge oder Noterbrechts Erbe geworden ist. Die Abfindung musste dem Wert des Anteils am Nachlass entsprechen. Widersprach das uneheliche Kind der Abfindung, entschied das Gericht "unter Berücksichtigung der persönlichen und vermögensmäßigen Verhältnisse". Diese Vorschrift findet nun keine Anwendung mehr.^[256]

Rz. 207

Die ehelichen Aszendenten sind gem. Art. 538 Abs. 1 C.C. pflichtteilsberechtigt, wenn der Erblasser keine Abkömmlinge hinterlässt. Das erfasst dann nicht nur die Eltern, sondern – bei deren Vorversterben – auch die weiteren Aszendenten, wie Großeltern etc.

Rz. 208

Der Ehegatte und der Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft italienischen Rechts (unione civile) sind gem. Art. 540 C.C. stets pflichtteilsberechtigt, und zwar auch nach gerichtlicher Trennung von Tisch und Bett, Art. 548 Abs. 1 C.C. Allein der Ehegatte, dem durch das Urteil die Schuld an der Trennung von Tisch und Bett zugesprochen wurde, verliert durch die Trennung sein Noterbrecht. Er kann gem. Art. 548 Abs. 2 C.C. gegen den Nachlass allenfalls einen Anspruch auf Weiterzahlung seiner Unterhaltsrente geltend machen. Auch dem geschiedenen Ehegatten, der vom Erblasser Unterhalt bezog, kann gem. Art. 9bis Scheidungsgesetz eine Unterhaltsrente gegen den Nachlass zugebilligt werden.^[257] Dabei stehen nicht nur Höhe, sondern auch Bestehen des Unterhaltsanspruchs im Ermessen des Gerichts.

[256] Castelli, ZEV 2013, 135.

[257] Hausmann, in: Hausmann, Italien Grdz. Rn 239; nach Funke, Trennung und Scheidung im italienischen Recht – vermögensrechtliche Folgen, 1997, S. 322 ff. kommt dieser Bestimmung in der Praxis nur "marginale" Bedeutung zu. Zur kollisionsrechtlichen Einordnung dieser Ansprüche aus deutscher Sicht (Qualifikation als erb- oder unterhaltsrechtlich) siehe § 17 Rdn 218; im italienischen materiellen Recht sieht man hierin nach überwiegender Ansicht ein "gesetzliches Vermächtnis mit unterhaltsrechtlichem Charakter" (Nachweise bei Funke, a.a.O., S. 323 Anm. 647), so dass wohl auch aus italienischer Sicht eine erbrechtliche Qualifikation nahe liegt.

3. Pflichtteilsquoten

Rz. 209

Die Summe der Pflichtteilsquoten ist nicht, wie im deutschen Recht, auf einen bestimmten Teil des Nachlasses begrenzt. Vielmehr variiert sie je nach Anzahl und verwandtschaftlicher Nähe der Pflichtteilsberec...