Rz. 348
Der Pflichtteil ist gem. Art. 2156 CC der den Noterben vorbehaltene Teil des Vermögens, über den der Erblasser nicht verfügen kann. Insoweit handelt es sich nicht um einen wertmäßigen Anspruch, sondern um eine zwingende unmittelbare Beteiligung der Noterben am Nachlass. Der Erblasser kann den Pflichtteil auch als Vermächtnis zuwenden, Art. 2165 CC. Bei Belastungen gilt die Sozinische Klausel.
Rz. 349
Pflichtteilsberechtigt sind der Ehegatte, die Abkömmlinge, die Eltern und ggf. die weiteren Vorfahren, Art. 2157 CC. Der nichteheliche Lebensgefährte hat keinen Pflichtteilsanspruch.
Rz. 350
Die Pflichtteilsquoten werden auf der Basis der gesetzlichen Erbquoten errechnet, wobei diese mit einer nach Art und Anzahl der Pflichtteilsberechtigten variierenden Quote multipliziert werden. Dabei ergibt sich konkret Folgendes:
Kinder |
Aszendenten |
Ehegatte |
Noterbquoten |
Freiteil |
1 |
|
|
alleiniges Kind ½ |
½ |
2 |
|
|
beide Kinder je ⅓ |
⅓ |
3 |
|
|
3 Kinder je 2/9 |
⅓ |
1 |
|
x |
Kind ⅓ Ehegatte ⅓ |
⅓ |
2 |
|
x |
beide Kinder je 2/9 Ehegatte 2/9 |
⅓ |
3 |
|
x |
3 Kinder je 1/6 Ehegatte 1/6 |
⅓ |
mehr als 3 |
x |
x |
alle Kinder insgesamt ½ Ehegatte 1/6 |
⅓ |
|
|
x |
Ehegatte ½ |
½ |
|
x |
x |
Ehegatte 4/9 Aszendenten 2/9 |
⅓ |
|
x |
|
Aszendenten ersten Grades ½ Aszendenten höheren Grades ⅓ |
½ bzw. ⅔ |
Rz. 351
Zum Pflichtteil tritt im Erbfall der im Familienrecht geregelte Unterhaltsanspruch gegen den Nachlass. Dieser steht nicht nur dem Ehegatten, Art. 2018 CC, sondern auch dem nichtehelichen Lebensgefährten zu, wenn die Lebensgemeinschaft länger als zwei Jahre gedauert hat, Art. 2020 CC.
Rz. 352
Auch der Pflichtteilsberechtigte muss zunächst die Erbschaft annehmen. Die Durchsetzung der Pflichtteilsrechte erfolgt durch Herabsetzung der testamentarischen Verfügungen im Wege gerichtlichen Gestaltungsurteils. Dabei sind Erb- und Vermächtniseinsetzungen proportional zu kürzen, soweit nicht der Erblasser anderes verfügt hat. Der gesetzliche "Voraus" des Ehegatten, der ein Wohnrecht an der Familienwohnung und den Gebrauch der Einrichtung umfasst, Art. 2103 CC, erhöht dagegen nicht den Pflichtteil, sondern wird auf den Erbteil angerechnet. Lebten die Eheleute im gesetzlichen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft, ist das eheliche Gesamtgut vor Nachlassauseinandersetzung zu teilen.
Rz. 353
Bei der Berechnung der Pflichtteile sind lebzeitige Schenkungen des Erblassers dem Nachlass zuzurechnen (Pflichtteilsergänzung). Eine zeitliche Beschränkung gibt es nicht. Reicht der Nachlass nicht zur vollständigen Pflichtteilsergänzung, können die Schenkungen selbst reduziert werden, Art. 2169 CC.
Rz. 354
Der Pflichtteilsrecht verjährt in zwei Jahren nach Eröffnung des Testaments, Art. 2167 CC. Pflichtteilsergänzungsansprüche verjähren in zwei Jahren nach Annahme der Erbschaft durch den Noterben, Art. 2178 CC.
Rz. 355
Ein Erb- oder Pflichtteilsverzicht ist nicht zulässig. Selbst auf das Recht, die Herabsetzung lebzeitiger Schenkungen des Erblassers zu verlangen, kann ausdrücklich nicht zu Lebzeiten des Erblassers verzichtet werden, Art. 2170 CC.