Rz. 531
Pflichtteilsberechtigt sind gem. Art. 506 ZGB die Abkömmlinge, bei Fehlen von Abkömmlingen die Eltern, und der Ehegatte des Erblassers. Die Familienangehörigen des Erblassers erhalten zunächst aus dem Nachlass den Unterhalt für drei Monate nach Eintritt des Erbfalls.
Der Pflichtteil ist echtes Erbrecht. Er ist die den Noterben vorbehaltene quotale Beteiligung am Vermögen des Erblassers, die der Verfügung des Erblassers entzogen ist.
Rz. 532
Die Pflichtteilsquote beträgt für einen Nachkommen die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs (bis 2002 drei Viertel), für jeden Elternteil ein Viertel (bis 2002 die Hälfte) des gesetzlichen Erbteils. Der Pflichtteil der Geschwister (zuletzt ein Achtel, bis 2002 ein Viertel des gesetzlichen Erbteils) wurde durch Gesetz vom 4.5.2007 gestrichen. Der Ehegatte erhält neben den gesetzlichen Erben den gesamten gesetzlichen Erbteil und in den übrigen Fällen drei Viertel (bis 2002 die Hälfte) des gesetzlichen Erbteils als Pflichtteil.
Kinder |
Eltern |
Geschwister |
Ehegatte |
Noterbquoten |
Freiteil |
x |
/ |
/ |
|
alleiniges Kind bzw. alle Kinder gemeinsam ½ |
½ |
x |
/ |
/ |
x |
Kinder insgesamt ⅜ Ehegatte ¼ |
⅜ |
|
|
|
x |
Ehegatte ¾ |
¼ |
|
x |
/ |
x |
Ehegatte ½ beide Eltern insgesamt ⅛ |
⅜ |
|
x |
/ |
|
Eltern insgesamt ¼ |
¾ |
Rz. 533
Eine Erweiterung der verfügbaren Quote auf bis zu drei Viertel ergab sich nach altem Recht für gemeinnützige Schenkungen und Zuwendungen an gemeinnützige Stiftungen, Art. 453 Abs. 2 bis 4 ZGB a.F. Das neue ZGB enthält diese Begünstigung der Stiftungsgeschäfte nicht mehr.
Rz. 534
Der Pflichtteil gewährt dem Pflichtteilsberechtigten eine dingliche Beteiligung am Nachlass. Diese kann er durch Herabsetzungsklage geltend machen, mit der er die testamentarischen Verfügungen so weit herabsetzen lässt, bis seine Noterbquote wiederhergestellt wird. Klagebefugt ist nicht allein der Pflichtteilsberechtigte selber, sondern auch sein Konkursverwalter oder ein Gläubiger, der erfolglos die Zwangsvollstreckung versucht hat. Das Recht auf Erhebung der Herabsetzungsklage ist nach Ablauf eines Jahres verwirkt. Die Frist beginnt mit Kenntnis des Noterben von der Beeinträchtigung des Pflichtteils. Die Verwirkung tritt aber spätestens zehn Jahre (nach altem Recht: fünf) nach Eröffnung der letztwilligen Verfügung bzw. bei lebzeitigen Verfügungen nach Eintritt des Erbfalls ein, Art. 571 ZGB (zuvor: Art. 513 ZGB). Nach Eintritt der Verwirkung kann das Recht nur noch einredeweise geltend gemacht werden.
Rz. 535
Führt auch die Herabsetzung der testamentarischen Verfügungen nicht zur Wiederherstellung der Pflichtteile, werden die lebzeitigen Schenkungen in umgekehrter zeitlicher Reihenfolge herabgesetzt. Dies gilt insbesondere für Zuwendungen auf den Erbteil und Ausstattungen, Erbabfindungen, widerrufliche Schenkungen und Schenkungen, die der Erblasser in seinem letzten Lebensjahr oder in Umgehungsabsicht vorgenommen hat, Art. 565 ZGB (zuvor: Art. 507 ZGB). In einem Urteil vom 16.6.2010 hatte der türkische Kassationshof über einen Verkauf eines Grundstücks durch den Erblasser an seine Tochter zu entscheiden. Der Kaufpreis wurde hier durch die Tochter vereinbarungsgemäß nie gezahlt. Der Kassationshof nahm dennoch an, es liege keine verdeckte Schenkung vor, weil die Gegenleistung durch die (überobligatorische) Betreuung des Erblassers durch die Tochter abgegolten worden sei. Die Herabsetzungsklage der Brüder wurde daher letztinstanzlich abgewiesen.
Rz. 536
Der Erbverzicht erfolgt durch notariell beurkundeten Erbverzichtsvertrag, Art. 528 ZGB (zuvor: Art. 475 ZGB). Dabei bindet – vorbehaltlich abweichender Regelung im Vertrag – nur der Verzicht mit Gegenleistung auch die Abkömmlinge des Verzichtenden.