Rz. 10
Voraussetzung der Zurechnung von Mitverschulden ist grundsätzlich – von Fällen einer eigenen Gefährdungshaftung des Geschädigten abgesehen – ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten und damit auch eine Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Schadens. Notwendig ist insofern jedenfalls eine Zurechnungsfähigkeit des Geschädigten. Das verlangt zwar keine Geschäftsfähigkeit, zumindest aber die Fähigkeit zur Einsicht, dass man sich selbst vor Schaden zu bewahren hat. Die §§ 827, 828 BGB gelten insofern folgerichtig entsprechend bzw. – genauer – "spiegelbildlich".
a) Ausschluss bzw. einer Minderung der Verantwortlichkeit
Rz. 11
Mit Blick auf die – zahlenmäßig und qualitativ (wegen schwerer Unfälle mit Personenschäden) – überaus bedeutsamen Fälle eines Ausschlusses bzw. einer Minderung der Verantwortlichkeit gemäß § 827 BGB ist – namentlich bei vorausgegangenem Alkohol- oder Drogenkonsum – zu beachten, dass ein Schädiger – respektive hier ein Geschädigter – nach S. 2 entsprechend der Grundsätze der "actio libera in causa" für einen (grundsätzlich vom Geschädigten – im Rahmen von § 254 BGB also "spiegelbildlich" vom Schädiger – zu beweisenden) selbstverschuldeten, vorübergehenden Ausschluss der freien Willensbestimmung verantwortlich bleibt, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; es sei denn, der Schädiger (hier: Geschädigte) weist nach, dass er unverschuldet in diesen Zustand geraten ist.
b) Minderjährige
Rz. 12
Von immenser Bedeutung für die Praxis ist vor allem auch § 828 BGB, der bei der Unfallbeteiligung von Minderjährigen zu beachten ist. Nach dessen Abs. 1 BGB sind Kinder vor Vollendung ihres siebten Lebensjahres für einen Schaden, den sie einem anderen zufügen, noch nicht verantwortlich und – spiegelbildlich – auch nicht gem. § 254 BGB mitverantwortlich für einen eigenen Schaden. Entsprechendes gilt seit dem zum 1.8.2002 in Kraft getretenen 2. Schadensersatzrechtsänderungsgesetz nunmehr – mit Ausnahme des Vorliegens von Vorsatz – regelmäßig auch für Kinder, die zwar schon das siebte, nicht aber auch das zehnte Lebensjahr vollendet haben, für die Schädigung anderer bei Unfällen mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn (§ 828 Abs. 2 BGB). Das trägt neueren Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie Rechnung, wonach Kinder (jedenfalls) bis zur Vollendung des zehnten Lebensjahrs zumeist nicht in der Lage sind, die Gefahren des modernen Straßenverkehrs zu erkennen und ihr Verhalten danach auszurichten.
Rz. 13
Die Norm enthält demgemäß eine (widerlegliche) Vermutung für die Deliktsunfähigkeit der Kinder, sofern sich in concreto eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs (z.B. Schnelligkeit) realisiert hat, und schließt folgerichtig ggf. nicht nur deren Haftung für Schäden Dritter, sondern regelmäßig auch eine Mithaftung für eigene Schäden aus. Mit Blick auf die bloß sektorale Regelung für (motor-) verkehrstypische Überforderungssituationen ist § 828 Abs. 2 S. 1 BGB de lege lata unanwendbar wo es an einer solchen Situation fehlt, so etwa – schon aufgrund des insoweit eindeutigen Gesetzeswortlauts – bei Unfällen mit nichtmotorisierten Dritten wie z.B. Radfahrern. Selbst bei Unfällen unter Beteiligung von Kraftfahrzeugen kommt die Privilegierung der Kinder gemäß § 828 Abs. 2 BGB zudem nicht zum Tragen, wo die Komplexität, Schnelligkeit, Unübersichtlichkeit des Verkehrs ohne Bedeutung sind, wie etwa bei einer Kollision mit ruhendendem Verkehr. Nachdem die §§ 827–829 BGB zudem nur die Verschuldenshaftung regeln, gilt § 828 Abs. 2 BGB auch nicht, sofern (ausnahmsweise) eine Gefährdungshaftung des Kindes – etwa als Halter oder Eisenbahnunternehmer – in Betracht kommt.
Rz. 14
Bei älteren Kindern bzw. Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs ist gemäß § 828 Abs. 3 BGB eine Verantwortlichkeit für einen Schaden ausgeschlossen, sofern bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht (intellektuelle Einsichtsfähigkeit) fehlt. Bezogen auf den für § 254 BGB anzulegenden Maßstab ist demnach die Einsichtsfähigkeit dahin maßgeblich, dass man sich selbst vor Schaden zu bewahren hat, die früher gegeben sein kann als die Einsicht, dass andere nicht geschädigt werden dürfen. Auf die individuelle Fähigkeit, sich auch der Einsicht gemäß zu verhalten (Steuer...