Rz. 92
Das Erfordernis eines (Vor-)Bestehens einer Sonderrechtsbeziehung wirkt sich insbesondere in den Fällen aus, in denen etwa ein Mitverschulden von (einem) Eltern(teil) oder von sonst mit Willen des/r gesetzlichen Vertreter/s tätig gewordenen Dritten bei der Schädigung eines Minderjährigen schadensmitursächlich geworden ist. Grundsätzlich kommt eine schadensmindernde Zurechnung solchen Verhaltens in Betracht. Dies gilt allerdings nur, wenn der gesetzliche Vertreter in dieser Eigenschaft gehandelt hat, also nicht etwa zu Lasten des Minderjährigen in strafrechtlich relevantem Verhalten. bzw. mit dem Schädiger kollusiv zusammen gewirkt hat. Im Übrigen ist – auf entsprechend geltend zu machende Einrede – die Haftungsprivilegierung des § 1664 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen. Nach dieser Norm haften Eltern ihren Kindern gegenüber grundsätzlich nur nach dem Verschuldensmaßstab des § 277 BGB, das heißt für eigenübliche Sorgfalt (sog. diligentia quam in suis.). Diese Haftungsbeschränkung gilt grundsätzlich auch für eine Verletzung der Aufsichtspflicht gegenüber dem Kind, selbst wenn es (auch) dadurch etwa zu einem Unfall mit motorisiertem Verkehr kommt (z.B. weil das Kind auf die Straße läuft). Anderes gilt freilich bei einer Verletzung des Kindes durch die Eltern bei deren eigener Teilnahme am Straßenverkehr (Führung eines Kfz), weil auch § 1664 BGB keinen Raum für individuelle Sorgfalt im Straßenverkehr, speziell bei der Führung von Kraftfahrzeugen, bietet. Selbst wenn § 277 BGB danach anwendbar ist, ist freilich zu beachten, dass ein Anspruch wegen Aufsichtspflichtverletzung nach § 277 BGB nicht schon dann ausgeschlossen ist, wenn den Eltern grobe Fahrlässigkeit nicht vorzuwerfen ist. Denn für die eigenübliche Sorgfalt kommt es nicht darauf an, wie die Eltern der Aufsichtspflicht über ihre am Straßenverkehr teilnehmenden Kinder ansonsten nachkommen, sondern darauf, welche Sorgfalt sie in eigenen Angelegenheiten an den Tag legen.
Rz. 93
Hinsichtlich des nach diesen Grundsätzen ggf. anrechenbaren Mitverschuldens der gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen ist im Übrigen mit Blick auf die Schadensentstehung einerseits und die Schadensabwendung bzw. -minderung andererseits zu differenzieren.
a) Beitrag zur Schadensentstehung
Rz. 94
(Auch) Soweit es um die Schadensentstehung geht, muss sich ein Kind ein Mitverschulden seiner Eltern nur anrechnen lassen, wenn bereits im Zeitpunkt der Schadensentstehung eine Sonderrechtsbeziehung zwischen dem Kind und dem Schädiger bestanden hat. Daran wird es freilich bei einer deliktischen Schädigung des Minderjährigen in der Regel fehlen. Die Benutzung eines Kinderspielplatzes begründet noch kein derartiges Verhältnis, aus dem sich das Kind, das durch ein nicht verkehrssicheres Spielgerät verletzt wird, über § 254 Abs. 2 S. 2 BGB ein Mitverschulden seines gesetzlichen Vertreters nach § 278 BGB zurechnen lassen müsste. Da es sich im Übrigen bei der rechtlichen Sonderverbindung um eine solche mit gegenseitigen Pflichten und Pflichtenkreisen handeln muss, aus denen bei Pflichtverletzungen Rechte und Pflichten verschiedenster Art bestehen können, genügt es auch noch nicht, wenn Eltern einem fremden Kind (generell) den Aufenthalt in der ehelichen Wohnung gestatten; denn dabei handelt es sich um ein reines Gefälligkeitsverhältnis ohne rechtsverbindlichen Charakter. Aufgrund eines mit der Bahn abgeschlossenen Beförderungsvertrags muss sich hingegen ein zwölfjähriger Geschädigter ein Mitverschulden der bestellten Aufsichtsperson anrechnen lassen. Gelegentlich wurde versucht, die Anwendbarkeit des § 278 BGB auch s...