Rz. 97
§ 254 BGB trifft – wie gesehen – Treu und Glauben und damit eine für die gesamte Rechtsordnung Geltung erheischende Grundsatzregelung. Dies schließt eine spezielle, abrundende bzw. auch in Nuancen abweichende Kodifikation in Spezialgesetzen nicht aus, wie sie etwa das StVG enthält. Aufgrund des allgemeiner juristischer Methodik entsprechenden Vorrangs des spezielleren Gesetzes (lex specialis derogat lex generali), gilt demnach beispielsweise: Soweit §§ 9, 17, 18 StVG in ihrem Anwendungsbereich eigenständige Regelungen enthalten, gehen sie § 254 BGB vor. Die Obliegenheit zur Schadensminderung gem. § 254 Abs. 2 BGB wird von der Sonderregelung des § 17 StVG aber beispielsweise nicht berührt. Im Rahmen des § 18 Abs. 3 StVG gilt die in § 17 Abs. 1 StVG vorgeschriebene Abwägung auch für Führer der unfallbeteiligten Kraftfahrzeuge.
Rz. 98
Im Ergebnis regelt § 17 Abs. 1 StVG im Wesentlichen, was die Rechtsprechung bei der Auslegung von § 254 BGB bereits mit einbezieht: Die Berücksichtigung mitwirkender Betriebsgefahr in allen Fällen, in denen der Kraftfahrzeug-Halter eigene Ersatzansprüche gegen andere unfallbeteiligte Halter geltend macht. § 17 Abs. 1 StVG begründet daher ebenso wenig wie § 254 BGB einen Schadensersatzanspruch, sondern setzt einen solchen voraus. Die Betriebsgefahr des eigenen Kraftfahrzeugs kann dem geschädigten Halter jedoch nur dann anspruchsmindernd entgegengehalten werden, wenn er bei gedachter Schädigung des Anspruchsgegners diesem gegenüber aus § 7 StVG ersatzpflichtig wäre, also z.B. nicht, wenn das Kraftfahrzeug nicht in "Betrieb" oder das Unfallereignis für ihn unabwendbar war (§ 17 Abs. 3 StVG). Wurden bei dem Unfall mehrere geschädigt, so stehen sich deren Ansprüche selbstständig gegenüber und sind einzeln nach den jeweils anzuwendenden Vorschriften (§ 254 BGB, § 9 StVG oder § 17 StVG) zu berechnen. Für die Haftungsverteilung gelten die oben zu § 254 BGB dargestellten Grundsätze entsprechend. Eine Erhöhung der Betriebsgefahr kommt mit oder auch ohne Verschulden in Betracht. Alle gefahrbringenden Umstände sind jedoch nur zu berücksichtigen, wenn sie unstreitig oder bewiesen und für den konkreten Schadensfall ursächlich geworden sind. Deshalb erhöht die Alkoholisierung eines Kraftfahrzeug-Fahrers, die sich nicht auf den Unfall ausgewirkt hat, auch nicht die Betriebsgefahr. Die Abwägungsentscheidungen nach § 254 BGB wie auch nach § 17 StVG müssen dabei stets für den konkreten Einzelfall erfolgen. Eine schematische Quotierung kommt demgegenüber nicht in Betracht. (Nur) Als erste Orientierungshilfe und zur Systematisierung sind jedoch die im Schrifttumsverzeichnis oben erwähnten Quotierungstabellen hilfreich, auf die wegen der reichhaltigen Kasuistik namentlich auf § 17 StVG verwiesen wird.
Rz. 99
Andere Sonderregelungen, die § 254 BGB verdrängen, enthalten beispielsweise § 13 HpflG, § 34 LuftVG.
Rz. 100
Eine besondere Regelung hat die Anrechnung mitwirkenden Verschuldens Dritter im Bereich der Gefährdungshaftung für Sachschäden gefunden (vgl. etwa § 9 StVG, § 4 HpflG, § 34 LuftVG, § 32 GenTG, § 27 AtomG u.Ä.). Danach wird dem Geschädigten im Rahmen des § 254 BGB nicht nur das Verschulden von Erfüllungsgehilfen, sondern jedes Dritten (so genannte "Bewahrungsgehilfen") angerechnet, der zur Zeit des Unfalls die tatsächliche Gewalt über die beschädigte Sache ausgeübt hat. Auf die Berechtigung hierzu kommt es dabei nicht an. Dies kommt daher auch bei Schwarzfahrern oder Dieben in Betracht. Ein Entlastungsbeweis ist insoweit nicht zulässig. Diese Sonderregelung gilt jedoch ausschließlich für die Gefährdungshaftung und ist nicht auf allgemeine Haftungstatbestände übertragbar. Da bei einem Verschulden des Schädigers (z.B. Unfallgegners) ein Anspruch des in seinem Eigentum verletzten Leasinggebers aus § 823 Abs. 1 BGB also nur unter den Voraussetzungen des § 831 BGB gekürzt wird, muss sich dieser ggf. weder die Betriebsgefahr noch ein Mitverschulden des Leasingnehmers anrechnen lassen.