1. Grundgedanke
Rz. 2
Da nach allgemeinem zivilrechtlichem Schadensrecht grundsätzlich jede Mitursache für eine Haftung des dafür Verantwortlichen auf eine vollständige Wiederherstellung genügt (Prinzip des Totalersatzes; "Alles-oder-Nichts-Prinzip"), könnte ein Geschädigter seinen Schaden an sich von jenem selbst dann in vollem Umfang ersetzt verlangen, wenn dieser selbst – unter Umständen sogar überwiegend – zur Entstehung oder Entwicklung des bei ihm eingetretenen Schadens beigetragen hat. Dies verstieße indessen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Gesichtspunkt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ("venire contra factum proprium"), der in der Regelung des § 254 BGB demnach lediglich eine spezielle Regelung gefunden hat, indem er für den Fall zurechenbarer Mitwirkung des Geschädigten bei der Schadensentstehung oder -entwicklung eine Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge bei der Bemessung etwaigen Schadensersatzanspruchs anordnet. Mit anderen Worten: Dem Geschädigten soll der Teil des erlittenen Schadens belassen bleiben, den dieser selbst zu verantworten hat.
2. Anwendungsbereich
Rz. 3
§ 254 BGB ist nach seinem Wortlaut und der Systematik – soweit keine verdrängenden Sonderregelungen bestehen – primär auf alle Schadensersatzansprüche anwendbar, unabhängig davon, auf welchem – etwa vertraglichen oder gesetzlichen – Rechtsgrund sie beruhen. Auch gegenüber Amtshaftungsansprüchen gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG ist der Einwand aus § 254 BGB zulässig, sofern der Anspruch nicht schon wegen der speziellen Mitverschuldensregelung des § 839 Abs. 3 BGB zur Gänze ausgeschlossen ist. Desgleichen gilt er gegenüber Ansprüchen aus Gefährdungshaftung, wie beispielsweise als Tierhalter oder Kraftfahrzeughalter.
Rz. 4
Entsprechend anzuwenden ist § 254 BGB in Fällen, in denen der Geschädigte selbst für die Verwirklichung von ihm beherrschter Betriebs- oder Stoffgefahren einzustehen hat wie im hier interessierenden Unfallhaftpflichtbereich vor allem etwa aufgrund Gefährdungshaftung für den Betrieb eines Kraftfahrzeugs Der geschädigte Halter eines Kfz muss sich danach, wenn er nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen eines Ausschlusstatbestands nachweisen kann, auch gegenüber einem etwaigen Schmerzensgeldanspruch die Betriebsgefahr seines Kraftfahrzeug mindernd anrechnen lassen, der nicht-haltende, bloße Kraftfahrzeug-Fahrer hingegen nur, sofern er selbst gemäß § 18 StVG wegen vermuteten Verschuldens oder aus unerlaubter Handlung (§§ 823 ff. BGB) haftet, ebenso wenig der nicht-haltende (Sicherungs-)Eigentümer (wie etwa auch ein Leasinggeber).
Rz. 5
Entsprechend angewendet wird § 254 BGB außerdem nach allgemeiner Ansicht auf Ausgleichsansprüche unter Gesamtschuldnern (§ 426 BGB), darüber hinaus in sonstigen gesetzlich nicht geregelten Fällen beiderseitigen Verschuldens, das gegeneinander abzuwägen ist, etwa auf Ansprüche aus § 1004 BGB, aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB, auf Schadensersatzansprüche aus § 670 BGB sowie Ersatzansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (z.B. wegen Selbstaufopferung im Straßenverkehr) oder auf Ansprüche aus §§ 989, 990 BGB. Bei den Schadensersatzansprüchen aus §§ 844 Abs. 2, 845 BGB kommt neben dem Ansatz eines Mitverschuldens des unmittelbar Verletzten nach § 846 BGB auch noch eine anspruchsmindernde Berücksichtigung eigenen Mitverschuldens des Dritten in Betracht. Auch im öffentlichen Recht findet § 254 BGB – über Amtshaftungsansprüche hinaus – etwa auf Entschädigungsansprüche wegen Enteignung, enteignenden oder enteignungsgleichen Eingriffs oder aus Aufopferung Anwendung.
Rz. 6
Ausgeschlossen ist die Anwendung des § 254 BGB dagegen auf reine Erfüllungsansprüche, Gewährleistungsansprüche, soweit sie nicht auf Schadensersatz gerichtet sind, sowie auf Bereicherungsansprüche. Allerdings wendet der Bundesgerichtshof auf Letztere gegebenenfalls § 242 BGB unmittelbar an. Kein Raum für eine Abwägung von Verursachungsanteilen und damit eine Anwendung von § 254 BGB ist selbstverständlich auch, wenn ohnehin eine Haftung ausgeschlossen ist, wie etwa für die Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG gemäß § 8 Nr. 2 StVG, wenn der Verletzte beim Betrieb des Kraftfahrzeugs oder des Anhängers tätig war, – mit Ausnahme des Vorliegens von Vorsatz – im Rahmen von Arbeits- oder Dienstunfällen oder der Frachtführung.
Rz. 7
Sonderregelungen bestehen unter anderem, soweit es um...