1. Allgemeines
Rz. 71
§ 254 BGB sieht nicht nur in seinem Abs. 1 eine Mitverantwortlichkeit des Geschädigten vor, wenn dieser zur Entstehung des Schadens beigetragen hat, sondern in Abs. 2 S. 1 auch eine solche, wenn er es unterlassen hat, den Schädiger auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder wenn der Geschädigte den Schaden nicht abgewendet oder gemindert hat. Inhaltlich enthält § 254 Abs. 2 BGB freilich nur – klarstellend – besondere Anwendungsfälle des § 254 Abs. 1 BGB, so dass die hierzu aufgezeigten Maßstäbe – weitestgehend – entsprechend gelten. Ob eine zu missbilligende Außerachtlassung eigener Belange vorliegt, richtet sich daher nach dem Verhalten, das von einem ordentlichen und verständigen Geschädigten zur Schadensabwendung oder -minderung nach Treu und Glauben erwartet werden kann. Der Geschädigte darf sich folglich einerseits nicht alleine deshalb nachlässiger verhalten bzw. einen höheren Schaden anwachsen lassen, weil er eine Erstattung des Schadens vom Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung erwartet. Andererseits braucht der Geschädigte auch keine Maßnahmen zu ergreifen, die für ihn mit einem besonderen Risiko verbunden sind.
2. Hinweis- oder Warnobliegenheit gemäß § 254 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. BGB
Rz. 72
Eine Hinweis- oder Warnobliegenheit entsprechend § 254 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. BGB kann schon denkgesetzlich nur angenommen werden, soweit der (spätere) Geschädigte um die nicht nur abstrakte Möglichkeit eines besonders hohen Schadens weiß oder zumindest wissen konnte und auch nur bei (Vor-)Bestehen irgendeiner Nähebeziehung – z.B. aus Vertrag oder aus einem bereits entstandenen Unfallschaden. Letzteres kommt etwa in Betracht, wenn der Geschädigte mangels eigener finanzieller Mittel ohne eine (Vorschuss-)Zahlung des Schädigers oder dessen Haftpflichtversicherung weder das Unfallfahrzeug reparieren lassen noch ein Ersatzfahrzeug anschaffen kann, so dass ein besonders hoher Schaden (wegen Finanzierungs-, Mietwagenkosten oder wegen Nutzungsausfalls) zu befürchten steht. Weiter erfordert eine solche Obliegenheit schon nach dem Gesetzeswortlaut ein Informationsgefälle zum Schädiger. So obliegt es beispielsweise einem Monteur, der in einem fremden Betrieb seinen Pilotenkoffer, in dem sich ein Laptop nebst Zubehör im Wert von mehreren tausend Euro befinden, im erkennbaren Gefahrenbereich eines Flurförderfahrzeuges abstellt, die Mitarbeiter des fremden Betriebs auf die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens hinzuweisen. (Auch) Die Verletzung der Hinweis- oder Warnpflicht muss in concreto außerdem ursächlich für den schließlich eingetretenen Schaden geworden sein. Das ist beispielsweise zu bejahen, wenn ein Frachtführer sich gegen eine Durchführung des Transportgeschäfts entschieden oder zumindest besondere Sicherungsmaßnahmen getroffen hätte, wäre er rechtzeitig auf einen ungewöhnlich hohen Wert des Transportguts hingewiesen worden, wobei von ersterem freilich im Regelfall auszugehen ist. Anderes gilt, wenn geeignete Maßnahmen gar nicht hätten ergriffen werden können, wobei freilich eine sichere Schadensvermeidung nicht erforderlich ist, oder der Schädiger die Warnung ohnehin in den Wind geschlagen hätte.
3. Schadenabwendungs- bzw. -minderungsobliegenheit gemäß § 254 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. BGB
Rz. 73
Von noch erheblich größerer praktischer Bedeutung ist im hier interessierenden Unfallhaftpflichtbereich die Schadenabwendungs- bzw. Schadensminderungsobliegenheit nach § 254 Abs. 2 S. 1 2. Alt. BGB.
a) Sachschäden
Rz. 74
Verschiedene, hier allenfalls exemplarisch zu beleuchtende Einzelfragen beschäftigen in diesem Zusammenhang in großer Zahl die Gerichte. Dabei ist mitunter schon die Grenzziehung zu § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nicht immer einfach.
aa) Mietwagenkosten
Rz. 75
Dies wird deutlich am Beispiel des Anspruchs auf Ersatz von Mietwagenkosten nach einem Verkehrsunfall: Macht ein Geschädigter diesen geltend, so fordert er keine Entschädigung nach § 251 BGB, sondern Naturalrestitution in Form des Herstellungsaufwands gem. § 249 BGB. Er kann demnach nur den zur Herstellung objektiv erforderlichen Betrag ersetzt verlangen, das heißt diejenigen Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und erford...