Rz. 76

Sonderbedarf und Mehrbedarf sind zwei Formen eines Bedarfes, der nicht in den Unterhaltstabellensätzen des Kindesunterhaltes und dem Quotenunterhalt des Ehegattenunterhaltes enthalten ist.[108]

In der Praxis geht es hier um folgende Fragenkomplexe:

Sind diese Aufwendungen in den normalen Bedarfssätzen enthalten?
Sind die Aufwendungen notwendig?
Wie hoch dürfen diese Kosten sein, sind sie also angemessen?
Wer haftet hierfür?
Wie können diese Beträge verfahrensrechtlich korrekt geltend gemacht werden?
 

Rz. 77

Die Fragen von Notwendigkeit, Angemessenheit und Haftungsverteilung sind letztlich bei Sonderbedarf und beim Mehrbedarf gleich zu behandeln; die Differenzierung zwischen den beiden Formen des zusätzlichen Bedarfes spielt hierfür praktisch keine Rolle. Dagegen unterscheidet sich die verfahrensrechtliche Durchsetzbarkeit von Sonderbedarf und Mehrbedarf in entscheidender – und sehr praxisrelevanter – Weise.

 

Rz. 78

 

Praxistipp:

Die Abgrenzung des zusätzlichen Bedarfes vom normalen Bedarf hat praktische Bedeutung für die Frage, ob dieser unterhaltsrechtliche Aufwand überhaupt vom Unterhaltsgegner verlangt werden kann. Ist diese konkrete Bedarfsposition bereits im normalen Unterhalt enthalten, besteht schon kein Anspruch auf Erstattung.
Ist geklärt, dass es sich um einen zusätzlichen Bedarf in diesem Sinne handelt, ist die Abgrenzung zwischen Sonderbedarf und Mehrbedarf für die korrekte verfahrensrechtliche Behandlung von Bedeutung (dazu siehe unten Rdn 91).
[108] Vgl. auch Siebert, FuR 2021, 524.

I. Abgrenzung zwischen Sonderbedarf und Mehrbedarf

1. Sonderbedarf

 

Rz. 79

Nach der Legaldefinition des § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt Sonderbedarf bei einem unregelmäßigen und außergewöhnlich hohen Bedarf vor. Es handelt sich um einen überraschenden, nicht mit Wahrscheinlichkeit voraussehbaren und der Höhe nach nicht abschätzbaren Bedarf, der deshalb beim laufenden Unterhalt nicht angesetzt werden konnte und deshalb eine zusätzliche Unterhaltsleistung rechtfertigt.[109]

Zu prüfen ist immer auch, ob im Hinblick auf die Höhe des laufenden Unterhaltes ein Teil der Kosten durch Bildung von Rücklagen aus dem laufenden Unterhalt abgedeckt werden kann.[110]

[110] OLG Düsseldorf v. 15.7.2010 – II-9 UF 51/10, FamFR 2010, 390 m.w.N.; OLG Zweibrücken v. 3.5.2000 – 6 UF 50/99, FamRZ 2001, 444.

2. Mehrbedarf

 

Rz. 80

Als Mehrbedarf ist dagegen der Teil des Lebensbedarfs anzusehen, der regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfällt und das Übliche derart übersteigt, dass er mit den Regelsätzen der Bedarfsbemessung nicht zu erfassen, andererseits aber kalkulierbar ist und deshalb bei der Bemessung des laufenden Unterhalts berücksichtigt werden kann.

 

Rz. 81

Vorhersehbare zusätzliche Kosten sind somit nicht als Sonderbedarf, sondern als Mehraufwand einzugruppieren. Sonderbedarf scheidet schon daher aus, wenn die zusätzlichen Kosten mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen waren und deswegen bei der Bemessung der laufenden Unterhaltsrente – ggf. als Mehrbedarf – berücksichtigt werden konnten.[111]

II. Notwendigkeit des zusätzlichen Bedarfes

 

Rz. 82

Es müssen wichtige Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, die Mehrkosten zu Lasten des Unterhaltspflichtigen anzuerkennen. Ein wichtiger Grund kann sich auch aus der ursprünglich gemeinsamen Entscheidung der Eltern ergeben, eine Mehrkosten auslösende Maßnahme zu ermöglichen (im Fall ein Hobby Reiten).[112]

Für die Erforderlichkeit der Zusatzleistungen ist zu prüfen, ob der geltend gemachte Aufwand aus der Sicht des objektiven Beobachters notwendig ist.[113]

 

Rz. 83

Bei schulischen Maßnahmen ist auf die Üblichkeit bzw. die ausbildungsbezogene sachliche Notwendigkeit abzustellen. Auch die Notwendigkeit und der Angemessenheit des privaten Förderunterrichts zur Behandlung einer Lese-Rechtschreib-Schwäche muss konkret geprüft werden, z.B. durch das Testverfahren einer sog. Hamburger Schreibprobe.[114]

 

Rz. 84

Bei Kosten für medizinische Behandlungen ergibt sich aus unterhaltsrechtlicher Sicht die Notwendigkeit bereits daraus, dass die Krankenkasse zumindest einen Teil der Kosten übernimmt und daher von der medizinischen Notwendigkeit ausgeht. Hinsichtlich der nicht erstatteten Aufwendungen ist dann aber die Angemessenheit zu prüfen.

 

Rz. 85

Wenn die Kindeseltern in beengten finanziellen Verhältnissen leben, sind zudem an die Erforderlichkeit der Zusatzleistungen strenge Maßstäbe zu stellen.[115]

Soweit die Möglichkeit besteht, zur Deckung des besonderen Bedarfes öffentliche Mittel in Anspruch zu nehmen, muss diese Möglichkeit genutzt werden.

 

Rz. 86

 

Praxistipp:

Die Darlegungs- und Beweislast auch für die Notwendigkeit der durchgeführten Maßnahme trägt der Unterhaltsberechtigte.

[113] Vgl. OLG Düsseldorf v. 11.9.2000 – 2 UF 67/00, FamRZ 2001, 444 zur Notwendigkeit einer länger andauernden psychotherapeutischen Behandlung.
[114] BGH v. 10.7.2013 – XII ZB 298/12, FamRZ 2013, 1563 mit Anm. Maurer und Steiniger Fam...

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