Dr. Oliver Brockmann, Dr. Michael Nugel
Rz. 73
Ob bei einem solchen unterstellten Verstoß gegen das BDSG eine Verwertung gerechtfertigt ist, muss für jeden Einzelfall durch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen ermittelt werden. Denn auch wenn ein Gesetzesverstoß vorliegen würde kann im Rahmen der vorzunehmenden Güterabwägung eine Verwertung im Zivilprozess immer noch zulässig sein. Im Bereich der Prüfung des Verwertungsverbots im Zivilprozess kommt insoweit aber noch ein wichtiger Gesichtspunkt hinzu: Insoweit ist nämlich zusätzlich das öffentliche Interesse an einer wirksamen Zivilrechtspflege mit dem Ziel der Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit als weiterer Umstand zu berücksichtigen. Das Streben nach einer materiellen Gerechtigkeit stellt insoweit als Voraussetzung einer funktionstüchtigen Rechtspflege einen wichtigen Belang des Gemeinwohls dar. Dies kann zwar für sich gesehen allein noch keinen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht rechtfertigen, ist jedoch bei der anschließenden Güterabwägung mit zu berücksichtigen.
Rz. 74
Auf diesen Grundsätzen basierend hat der BGH in seiner Entscheidung eine Verwertbarkeit der Aufzeichnung bejaht, obwohl die Beweiserhebung unter Verstoß gegen das BDSG (hier a.F.) erfolgt ist. Allein das Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege würde dabei für eine Verwertbarkeit alleine noch nicht genügen. Auf Seiten der Beklagten wäre auch der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei einer heimlichen Aufnahme zu berücksichtigen, während diesem das Interesse des Klägers an der Durchsetzung seines zivilrechtlichen Anspruchs i.V.m. dem Gebot einer effektiven Zivilrechtspflege und der Sicherung einer materiellen Gerechtigkeit gegenüberstehen würde. In dem hier betroffenen Einzelfall würden die Interessen des Klägers aber überwiegen.
Rz. 75
Dabei sei insbesondere zu beachten, dass es sich um einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beklagten zu 1 handelt, welcher die sog. Öffentlichkeitssphäre betrifft und daher weniger schwer wiegt als ein Eingriff in die Privats- oder gar die grundsätzlich unantastbare Intimsphäre. Der Eingriff wäre auch nicht so schwer wie dem heimlichen Aufnehmen oder Mithören eines Gesprächs. Hier hätte der Beklagte zu 1 sich freiwillig in den öffentlichen Straßenverkehr begeben und damit selbst der Wahrnehmung und Beobachtung Dritter ausgesetzt. Im Übrigen wäre auch im Bereich des Mithörens eines Gesprächs anerkannt, dass eine Verwertbarkeit zumindest dann i.d.R. zu bejahen ist, wenn der Redner selber bewusst so laut rede, dass auch weitere Personen ihn in der Öffentlichkeit wahrnehmen können. Auch wäre zu beachten, dass der Kläger sich in einer entsprechenden Beweisnot befunden habe, da unbeteiligte Zeugen nicht zur Verfügung stehen und das eingeholte Sachverständigengutachten nicht ergiebig gewesen ist, während die Aufnahme im Übrigen auch Umstände zugunsten des Beklagten zu 1 enthalten kann. Ferner wäre auch das Interesse an der Wahrung der materiellen Gerechtigkeit und der Verhinderung eines Prozessbetrugs zu berücksichtigen.
Rz. 76
Der Annahme eines überwiegenden Interesses des Klägers würde auch nicht entgegenstehen, dass möglicherweise bei der permanenten Aufzeichnung durch den Kläger auch ein unzulässiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dritter Personen erfolgt. Ihrem Schutz würde durch Vorschrift des Datenschutzes Rechnung getragen, die aber nicht zwingend auf ein Beweisverwertungsverbot abzielen. Für die Frage der Verwertbarkeit wäre der Eingriff in Rechte Dritter mithin nicht entscheidend und Verstöße gegen das Datenschutzrecht könnten nach dem BDSG ausreichend geahndet werden.
Rz. 77
Muster 18.11: Argumente für eine Verwertung einer Dashcam-Aufnahme im Zivilprozess
Muster 18.11: Argumente für eine Verwertung einer Dashcam-Aufnahme im Zivilprozess
Ob die Aufnahme gegen Datenschutzrecht verstößt und eine ggf. unzulässige Beweiserhebung stattgefunden hat kann vorliegend dahinstehen, da nach den Kriterien der Grundsatzentscheidung des BGH vom 15.5.2018 in jedem Fall kein Verwertungsverbot eingreift (BGH, Urt. v. 15.5.2018 – VI ZR 233/17 – juris). Denn selbst eine unterstellte Unzulässigkeit der Beweiserhebung führt nicht automatisch auch zu einem Beweisverwertungsverbot, sondern es kommt vielmehr auf eine umfassende Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen an – und diese geht vorliegend zugunsten desjenigen aus, welcher die Kamera eingesetzt hat.
Dies ist auch zu beachten, dass der Eingriff nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Sphärentheorie in der Öffentlichkeitssphäre stattfindet und damit das betroffene Grundrecht nicht besonders intensiv beeinträchtigt wird. De facto ist bei den Aufnahmen auch kaum ein konkreter Verkehrsteilnehmer zu erkennen und die Abfrage der Haltereigenschaft setzt ein konkretes berechtigtes Interesse im Einzelfall voraus, welches zulässiger Weise erst bei einem Unfallereignis als konkretem Anlass i.d.R. bejaht werden dürfte. Dabei ist auch zu beachten, dass sich d...