Dr. Oliver Brockmann, Dr. Michael Nugel
Rz. 68
Aufbauend auf diesen technischen Erkenntnissen und dem insoweit aufzuklärenden Sachverhalt schließt sich sodann die Prüfung an, ob diese Aufnahmen gegen Datenschutzrecht verstoßen und daraus ein Verwertungsverbot im Zivilprozess resultiert. Mit den nachfolgenden Ausführungen wird dabei die tragende Grundsatzentscheidung des BGH vom 15.5.2018 dargelegt.
1. Anwendungsbereich des Datenschutzes (Beweiserhebung)
Rz. 69
Dass eine Videoaufzeichnung im Straßenverkehr das allgemeine Persönlichkeitsrecht anderer Personen betrifft und sogar personenbezogene Daten mit der Videoaufzeichnung erhoben und gespeichert werden, entspricht der herrschenden Meinung. Dies deshalb, da im Regelfall bereits auf dem Video auch Personen erkennbar sein können, die über ihre Gesichter identifizierbar sind. Ganz abgesehen davon, dass über das Fahrzeugkennzeichen auch mit einem überschaubaren Aufwand eine Identifizierung zumindest des Halters und damit des gegebenenfalls betroffenen Fahrers möglich ist und aus diesem Zweck personenbezogene Daten vorliegen. Und spätestens im Rahmen der polizeilichen Unfallaufnahme i.V.m. dem Video ist ein Personenbezug zu den betroffenen Fahrzeugführern möglich.
Rz. 70
So auch im Fall des BGH: Der Unfallgegner konnte über die Unfallaufnahme und das dokumentierte Kennzeichen als Betroffener identifiziert werden und die mit der Videoaufzeichnung erfolgte Verarbeitung dieser personenbezogenen Daten ist nach Ansicht des BGH nur dann datenschutzrechtlich zulässig, wenn dafür ein Rechtfertigungsgrund besteht.
Dies erfordert aus Sicht des BGH die Erforderlichkeit der Datenerhebung im Sinne eines mildesten Mittels und dies war im BGH Fall bei einer 4 Stunden permanenten Aufnahme und damit verbundener Speicherung nicht der Fall. Insbesondere sei nicht die Möglichkeit genutzt worden, die Aufnahme auf eine kurzzeitige anlassbezogene Speicherung zu beschränken und nach dem Grundsatz "Privacy by Design" die Persönlichkeitsrechte dritter Personen so weit wie möglich zu schützen. Hier bestünde insbesondere die Gefahr einer weitreichenden heimlichen Überwachung im Straßenverkehr bis hin zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen, während für eine Unfallrekonstruktion nur ein geringer Zeitraum im Zusammenhang um das Unfallgeschehen notwendig ist. Eine Bewertung zugunsten des Kamerabetreibers käme überhaupt nur in Betracht, wenn die vielfältigen Möglichkeiten des "Privacy by Design" genutzt würden. Der BGH hebt dabei insbesondere sog. anlassbezogene Aufnahmen hervor, die erst bei einer Kollision oder starken Verzögerung ausgelöst werden. Bei permanenten Aufnahmen wird insbesondere auf die Möglichkeit einer sog. Schleifenlösung verwiesen, bei welcher die gespeicherte Aufnahme kurzfristig wieder überschrieben wird, wenn ein konkreter Anlass für eine dauerhafte Speicherung ausbleibt. Bei beiden Aufzeichnungsarten wären auch weitere technische Möglichkeiten wie beispielsweise eine Verpixelung oder eine Beschränkung des Zugriffs des Benutzers denkbar. Welche konkreten Anforderungen dafür im Einzelfall zu erfüllen sind musste der BGH in diesem Fall nicht mehr entscheiden.
Rz. 71
Soweit es um die datenschutzrechtliche Zulässigkeit und konkret das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes geht wird sich dies seit dem 25.5.2018 aus den Vorschriften der DSGVO ergeben, ggf. ergänzt durch den Anwendungsbereich des § 4 BDSG n.F. Vorab ist zu dieser Vorschrift des § 4 BDSG n.F. anzumerken, dass sie von der h.M. in der Literatur nach dem Maßstab der DSGVO für europrechtswidrig erachtet wird, soweit es um die Videoüberwachung nicht öffentlicher Stellen geht und diese vielmehr an dem allgemeinen Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1f DSGVO zu messen ist. § 4 BDSG n.F. wird europrechtskonform auszulegen sein und es gelten dann insbesondere die Vorgaben der Art. 6 ff. DSGVO.
Rz. 72
Art. 6 Abs. 1f DSGVO als Rechtfertigungsgrund läuft in der Sache wiederum auf eine Güterabwägung hinaus, wie diese den bekannten Grundsätzen aus dieser Grundsatzentscheidung des BGH entspricht. Die Verarbeitung muss zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich sein und es dürfen nicht überwiegende Interessen oder Grundrechte der datenschutzrechtlich Betroffenen entgegenstehen. Dabei ist insbesondere auch der Grundsatz der Datensparsamkeit nach Art. 5 Abs. 1c DSGVO zu beachten und die Verarbeitung muss auf das notwendige Maß beschränkt sein. Dies führt insbesondere dazu, dass die vom BGH hervorgehobenen Grundsätze eines "Privacy by Design" bei dem Einsatz technischer Mittel zu beachten sind. Dabei dürfte insbesondere auf den jeweiligen Stand der Technik zum Verarbeitungszeitpunkt abzustellen sein, wie dies beispielsweise die DSGVO auch in § 32 DSGVO bei dem Maßstab für die zur Datensicherheit anzuwenden technisch und organisatorischen Masßnahmen (sog. "TOMs) fordert und dies ja auch schon vor der DSGVO für die Dahcam-Fälle zu Recht gefordert worden ist."