Dr. Oliver Brockmann, Dr. Michael Nugel
Rz. 7
Zu beachten ist ferner, dass auf europäischer Ebene die Einführung des eCall-Systems erfolgt ist und daher alle neuen Automodelle ab April 2018 mit diesem System ausgestattet sein müssen. Dies führt zum Vorhandensein eines Notfallsystems im Fahrzeug, welches automatisch bei einem Unfall bzw. bei dem Auslösen eines Airbags einen Notruf absendet, die aktuellen Positionsdaten des Fahrzeugs übermittelt, sowie eine Kommunikation mit den Fahrzeuginsassen unter Integration einer Notruftaste ermöglichen soll und bei denen auch das individuelle Fahrzeug erkennbar ist. Der Notrufdienst funktioniert europaweit gleich: eCall nutzt Mobilfunk und Satellitenortung, um nach einem Unfall aus dem Auto heraus (automatisch oder manuell) eine Telefonverbindung zur einheitlichen Rufnummer 112 der nächstgelegenen Rettungsleitstelle herzustellen. Zusätzlich zur Sprachverbindung überträgt das im Fahrzeug montierte eCall-System Informationen zum Unfallort, zur Art der Auslösung und zum Fahrzeug.
Wird ein Notruf automatisch oder manuell abgesetzt, erreichen folgende Daten die Rettungsleitstelle:
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Zeitpunkt des Unfalls |
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Auslöseart: manuell oder automatisch |
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die 17-stellige Fahrzeugidentifizierungsnummer (FIN) |
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Antriebsart (z.B. Benzin, Diesel, Gas, Elektro) und Fahrzeugklasse |
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Fahrzeugposition |
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die letzten zwei Fahrzeugpositionen (Längen- und Breitengradunterschiede in Bezug zur aktuellen Fahrzeugposition) |
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Fahrtrichtung des Autos |
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Anzahl der Insassen (sofern die Sicherheitsgurte angelegt wurden) |
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optionale Zusatzdaten (nicht festgelegt; können beispielsweise eine (IP-)Adresse enthalten, unter der weitere relevante Daten oder Funktionen abrufbar sind) |
Rz. 8
Zu beachten ist auch, dass Daten bei der Vereinbarung eines sog. Telematiktarifs für eine Unfallrekonstruktion zur Verfügung stehen können. Bei diesen Tarifen gestattet der Versicherungsnehmer die Übermittlung bestimmter, i.d.R. anonymisierter Daten zur Analyse seines Fahrverhaltens an den Versicherer und von ihm eingeschaltete Unternehmen, um einen Tarif zu erhalten, welcher seinem Fahrverhalten angepasst ist. Dazu werden entweder Geräte mit Auslesemöglichkeiten im Fahrzeug des Versicherungsnehmers integriert oder aber per Bluetooth auf das eigene Handy übertragen, dort über eine App ausgewertet und weiter vermittelt. Dies führt erst einmal lediglich zur Bildung von Punktewerten zur Einstufung des Fahrverhaltens. Die Möglichkeit einer Speicherung dieser Daten zur Unfallrekonstruktion wird aber bereits als Vorteil dieses Tarifs ebenso wie die Möglichkeit der Fahrzeugortung im Diebstahlsfall erörtert. Dies kann ggf. auch von dem Versicherer wiederum als Grund für einen Prämiennachlass eingesetzt werden, so dass die reale Möglichkeit besteht, dass sich aus diesen Tarifen weitere Erkenntnisse für die Unfallrekonstruktion erwachsen. Hier ist insbesondere darauf zu achten, ob in den AKB des Versicherers zum Telematiktarif eine Vereinbarung enthalten, dass diese Daten – zumindest bei einer Einwilligung des Betroffenen – auch zur Unfallrekonstruktion verwendet werden können.
Diese vorhandenen Erkenntnisquellen werden in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen: So hat die EU Kommission am 26.3.2019 beschlossen, dass ab 2022 in allen Kfz mit einer neuen Typengenehmigung, ab 2024 dann alle neu zugelassenen Kfz eine Vielzahl an Assistenzsystemen einschließlich des nachfolgend geschilderten Event Data Recorder für Unfallereignisse vorhanden sein müssen. Neben den Datensätzen aus dem dann verpflichtend auslesbaren EDR zum Unfallereignis werden sich auch viele weitere wichtige Daten bei dem Betrieb der verpflichtend vorgesehenen Assistenzsysteme ergeben, zu denen Notbrems- und Abstandshaltesysteme, zusätzliche Kameras und ein Spurhalteassistent, aber auch das bisher kaum in Kfz eingesetzte System namens "intelligent speed assistance" (ISA) gehört, welches im Zusammenspiel von GPS, Strecken- und Kameradaten die erlaubte Geschwindigkeit erfasst und sogar tempobegrenzende Maßnahmen gestattet.