Rz. 31
Anfechtungsgründe sind nach § 119 Abs. 1 BGB der Inhaltsirrtum und der Erklärungsirrtum. Ersterer liegt vor, wenn zwar sprachlich durchaus das erklärt wurde, was erklärt werden sollte, wenn aber der Erklärende eine falsche Vorstellung von der Bedeutung/von dem Inhalt dessen hat, was er willentlich erklärt hat. Ein Erklärungsirrtum liegt demgegenüber vor, wenn schon sprachlich gar nicht das erklärt wurde, was hat erklärt werden sollen, wenn demnach Erklärungswille und Erklärungsgehalt auseinanderfallen, wie etwa beim unbewussten Schreib- oder Zahlenfehler. Der wesentliche und zur Anfechtung berechtigende Inhalts- oder Erklärungsirrtum ist abzugrenzen vom unbeachtlichen Motiv- oder Rechtsfolgenirrtum.
a) Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften in der Person des Arbeitnehmers
Rz. 32
Nach § 119 Abs. 2 BGB gilt als ein zur Anfechtungsmöglichkeit führender Inhaltsirrtum auch "der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden". Mit Blick auf den als Anfechtungsgrund bemühten Umstand ist zunächst zu fragen, ob er eine "Eigenschaft" der betreffenden Person oder – im Arbeitsrecht seltener – der Sache darstellt, und ggf. anschließend, ob diese Eigenschaft als "verkehrswesentlich" anzusehen ist. Eigenschaften einer Person sind tatsächliche und rechtliche Merkmale von einiger Dauer, wie etwa Charaktereigenschaften, Geschlecht, Konfession, Sachkunde, Vorstrafen, Schwerbehinderung. Ob sie verkehrswesentlich sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.
Rz. 33
Die Vertrauenswürdigkeit begründet nur in besonderen Vertrauenspositionen eine verkehrswesentliche Eigenschaft, bei einem ungelernten gewerblichen Arbeitnehmer hat das BAG dies ebenso verneint (BAG v. 12.2.1970 – 2 AZR 184/69, BB 1970, 883) wie für einen "Fahrer der Geschäftsleitung" (BAG v. 6.9.2012 – 2 AZR 270/11, juris). Verneint wurde eine Anfechtungsmöglichkeit ferner für die Schwangerschaft (Eigenschaft: ja, verkehrswesentlich: nein, da nur vorübergehend; vgl. BAG v. 8.9.1988 – 2 AZR 102/88, NZA 1989, 178 = DB 1989, 585; Pallasch, NZA 2007, 306). Zu verneinen ist das Vorliegen einer verkehrswesentlichen Eigenschaft für den Umstand der Gewerkschaftszugehörigkeit, da schon keine Eigenschaft, und für die Schwerbehinderung, da nicht verkehrswesentlich – es sei denn, der Schwerbehinderte ist wegen seiner Behinderung für die vorgesehene Arbeit nicht einzusetzen (BAG v. 7.6.1984, NZA 1985, 57 = BB 1985, 1398). Zu verneinen ist das Vorliegen einer verkehrswesentlichen Eigenschaft auch bei Vorstrafen, da nicht verkehrswesentlich – es sei denn, die Straftat stammt aus einem Bereich, mit dem der Arbeitnehmer künftig betraut werden soll, wie etwa im Fall eines wegen Untreue vorbestraften Buchhalters oder Kassierers (vgl. BAG v. 5.12.1957 – 1 AZR 594/56, BB 1958, 232 = DB 1958, 227). Eine Vorstrafe ist gemäß §§ 51, 53 BZRG irrelevant, wenn sie aus dem Strafregister getilgt ist (BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 1071/12, juris; BAG v. 6.9.2012 – 2 AZR 270/11, juris).
Rz. 34
Bejaht wurde eine verkehrswesentliche Eigenschaft für die volle weibliche Identität einer transsexuellen Arzthelferin, solange die Geschlechtsumwandlung nach §§ 8, 10 TSG (Transsexuellengesetz) noch nicht vollzogen und zudem das weibliche Geschlecht Voraussetzung einer Tätigkeit in einer bestimmten (insb. von ausländischen Frauen besuchten) ärztlichen Praxis sei (BAG v. 21.2.1991 – 2 AZR 449/90, NZA 1991, 719 = BB 1991, 1419). Es ist davon auszugehen, dass das BAG diese Rspr. im Hinblick auf das AGG, das eine Diskriminierung wegen der sexuellen Identität verbietet, nicht weiter aufrechterhalten wird. Eine Krankheit zählt zu den verkehrswesentlichen Eigenschaften, wenn dem Arbeitnehmer aus diesem Grund nicht nur vorübergehend die Fähigkeit fehlt, die vertraglich übernommenen Arbeiten auszuführen (BAG v. 28.3.1974 – 2 AZR 92/73, DB 1974, 1531).
b) Arglistige Täuschung
Rz. 35
Nach § 123 BGB berechtigt eine arglistige Täuschung zur Anfechtung. Täuschung bedeutet vorsätzliches Hervorrufen eines Irrtums beim Erklärungsgegner – eine unabsichtliche "Täuschung" gibt es nicht – durch wahrheitswidrige Behauptung von Tatsachen oder Verschweigen von offenbarungspflichtigen Tatsachen. Arglistig ist die Täuschung, wenn der Täuschende sie bewusst als Mittel benutzt, um auf die Entschließung des Gegners bestimmend einzuwirken, er also das Bewusstsein hat, der Vertragspartner werde ohne die Täuschung die Willenserklärung möglicherweise nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt abgeben (BGH v. 21.6.1974 – V ZR 15/73, NJW 1974, 1505 = WM 1974, 866). Bedingter Vorsatz genügt, d.h. es reicht aus, wenn der Täuschende weiß, dass seine Angaben unrichtig sind und er jedenfalls mit der Möglichkeit rechnet, der Vertragspartner könne in seiner Entschließung durch die Täuschung beeinflusst werden (BAG v. 5.10.1995 – 2 AZR 923/94, NZA 1996, 371 = DB 1996, 580). Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Anfechtende (BAG v. 11.7.2012 – 2 AZR 42/11, juris). Eine arglistige Täuschung ist bspw. zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer Bewerbungsunterlagen fälscht (LAG Meck...