I. Allgemeines
Rz. 52
Viele Schwierigkeiten bereitet in der Praxis nach dem Eintritt des ersten Erbfalls die Frage, ob die Ehegatten wechselbezüglich verfügt haben und ob hierdurch eine Bindungswirkung eingetreten ist. Die Bindungswirkung führt zum einen dazu, dass der überlebende Ehegatte keine zu Lasten der als Schlusserben Bedachten gehende Verfügung von Todes wegen treffen darf. Zum anderen führen Wechselbezüglichkeit und Bindungswirkung zu einer entsprechenden Anwendung der §§ 2286–2288 BGB, was dem überlebenden Ehegatten zwar ermöglicht, zu Lebzeiten wirksam über den Nachlass zu verfügen. Bei unentgeltlichen Verfügungen hat das jedoch zur Folge, dass dem dadurch benachteiligten Schlusserben ein Herausgabeanspruch nach bereicherungsrechtlichen Vorschriften zustehen kann, sofern der überlebende Ehegatte kein lebzeitiges Eigeninteresse an der unentgeltlichen Verfügung hatte. Denn § 2287 BGB findet nach h.M. auch auf bindend gewordene Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten Anwendung.
Rz. 53
Ob eine wechselbezügliche und bindende Verfügung von Todes wegen vorliegt, ist zunächst durch individuelle Auslegung zu ermitteln (§§ 133, 157 BGB). Bei gemeinschaftlichen Testamenten kommt es dabei auf den Willen beider Ehegatten an. Dabei geht die Rechtsprechung teilweise davon aus, dass bei einer intakten Familie der eine Ehegatte die gemeinsamen Abkömmlinge zugunsten des anderen Ehepartners nur übergeht, wenn den Kindern nach dem Überlebenden das gemeinschaftliche Vermögen zufällt.
Führt die individuelle Auslegung zu keinem Ergebnis, wird nach § 2270 Abs. 2 BGB eine Wechselbezüglichkeit vermutet, wenn sich Ehegatten gegenseitig bedenken (Alt. 1) oder wenn der eine Ehepartner den anderen einsetzt und dieser eine Person einsetzt, die mit dem Erstverstorbenen verwandt ist oder ihm sonst nahesteht (Alt. 2).
Die Tatsache, dass gemäß § 2270 Abs. 2 BGB Wechselbezüglichkeit und Bindungswirkung vermutet werden, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken und eine ihnen nahe stehende Person zum Schlusserben bestimmen, führt zu einer Vielzahl von unerwünschten Folgen, die bei richtiger Aufklärung von den Ehegatten häufig nicht gewollt waren. Insofern ist der Berater gerade hier gefragt, hinreichende Erläuterungen über die Vor- und Nachteile von wechselbezüglichen Verfügungen zu geben und eine entsprechende Freistellungsklausel im Sinne der Interessen der Mandanten auszuarbeiten.
II. Wechselbezüglichkeit und Bindungswirkung
1. Allgemeines
Rz. 54
Sinn und Zweck des Ehegattentestaments ist es u.a., die gemeinschaftlichen Verfügungen auch wechselbezüglich anordnen zu können und dass diese ggf. nach dem Tod des Erstversterbenden gemäß § 2270 Abs. 2 BGB Bindungswirkung entfalten.
Eine Bindungswirkung kann jedoch nur hinsichtlich der in § 2270 Abs. 3 BGB genannten Verfügungen entstehen: Gemäß § 2270 Abs. 3 BGB beschränkt sich die Wechselbezüglichkeit nämlich auf die Erbeinsetzung, das Vermächtnis, die Auflage und das anzuwendende Recht. Man spricht insoweit auch von einer Wechselbezugsfähigkeit.
Nicht wechselbezüglich können daher die Anordnung einer (echten) Teilungsanordnung ohne Wertverschiebung, die Enterbung, die Pflichtteilsentziehung (§§ 2333 ff. BGB) oder die Bestimmung eines Testamentsvollstreckers sein, wobei die nachträgliche Anordnung einer Testamentsvollstreckung oder die Erweiterung dessen Befugnisse nach h.M. eine Beeinträchtigung der Schlusserbenstellung darstellt.
Rz. 55
Wechselbezüglichkeit bedeutet, dass einzelne Anordnungen in ihrer Gültigkeit voneinander abhängen. Das heißt, dass eine Verfügung nur mit Rücksicht auf eine andere Verfügung getroffen wurde. Man spricht insoweit auch von einem zusammenhängenden Motiv dergestalt, dass die Verfügung des einen Ehepartners nur getroffen wurden, weil der andere Ehepartner ebenfalls auf bestimmte Weise verfügt hat. Eine entgegenstehende weitere Verfügung von Todes wegen führt zur von selbst eintretenden Unwirksamkeit, die normalerweise nur durch Anfechtung (§ 2078 Abs. 2 BGB) erreicht werden könnte. Aus § 2270 Abs. 1 BGB folgt insoweit auch, dass die Nichtigkeit oder der Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung die Unwirksamkeit der jeweils anderen Verfügung zur Folge hat.
Rz. 56
Da es sich bei § 2270 Abs. 2 BGB um eine Auslegungsregel handelt, ist es für die testamentarische Gestaltung unabdingbar, dass die Frage der Wechselbezüglichkeit und Bindungswirkung ausdrücklich thematisiert wird,...