I. Allgemeines
Rz. 78
Bei gegenseitigen Testamenten ist eine Anfechtung wegen Motivirrtums und wegen so genannter unbewusster Erwartungen nach den dafür geltenden Sonderregelungen der §§ 2078–2083 BGB möglich. Beim Anfechtungsverzicht im gegenseitigen Testament geht es um den Ausschluss der Beseitigung der Bindungswirkung durch Selbstanfechtung eines Ehegatten. Die eigenen wechselbezüglichen Verfügungen, die erst nach dem Tod des Erstversterbenden bindend geworden sind, können nach h.M. in analoger Anwendung der §§ 2281 ff., 2078, 2079 BGB vom überlebenden Erblasser selbst angefochten werden. Nach § 2082 BGB kann die Anfechtung nur binnen Jahresfrist erfolgen. Maßgebend für den Fristbeginn ist die Kenntnis vom Anfechtungsgrund (§ 2082 Abs. 2 BGB), wobei nicht unumstritten ist, inwieweit der Lauf der Anfechtungsfrist durch einen Rechtsirrtum gehemmt wird. Zur Form der Anfechtung vgl. § 2081 BGB.
II. Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten
Rz. 79
Von praktischer Bedeutung ist in erster Linie die Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten, § 2079 BGB. Nach § 2079 BGB ist eine Anfechtung im Falle der Übergehung oder des Hinzutretens eines Pflichtteilsberechtigen möglich. Es handelt sich dabei um einen besonderen Motivirrtum, wenn dem Erblasser der Pflichtteilsberechtigte zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments nicht bekannt oder bewusst war, oder wenn die Pflichtteilsberechtigung erst durch eine spätere Heirat entstanden ist.
Der überlebende Ehepartner kann also im Falle einer Wiederverheiratung seine Verfügung von Todes wegen nach § 2079 BGB anfechten mit der Folge, dass dann alle wechselbezüglichen Verfügungen entfallen und es im Zweifel zum Eintritt der gesetzlichen Erbfolge nach dem Erstverstorbenen kommt, sofern kein vorangegangenes Testament greift oder bei einem gemeinsamen Testament in der Schlusserbeneinsetzung auch eine Ersatzerbenberufung gesehen wird (vgl. § 9 Rdn 16 ff.). Anders als bei der Anfechtung nach § 2078 Abs. 1 BGB hat die Anfechtung nach § 2079 BGB nach h.M. die Nichtigkeit des ganzen Testaments zur Folge. Da im Rahmen des § 2079 BGB die Kausalität zwischen Irrtum und letztwilliger Verfügung des Erblassers vermutet wird (§ 2079 S. 2 BGB), trägt der Anfechtungsgegner letztlich die Beweislast.
III. Letztwilliger Verzicht auf das Anfechtungsrecht
Rz. 80
Das Selbstanfechtungsrecht der Ehegatten kann in der gegenseitigen Verfügung von Todes wegen grundsätzlich ausgeschlossen werden. Man spricht insoweit auch von einem Vorausverzicht auf das Anfechtungsrecht, der auch gegenüber einem anfechtungsberechtigten Dritten gilt.
Auf das Anfechtungsrecht kann dabei teilweise oder ganz verzichtet werden. Unter bestimmten Umständen kann sich ein Anfechtungsverzicht auch durch Auslegung ergeben.
Rz. 81
Gerade um den Fall einer Anfechtung nach erfolgter Wiederverheiratung zu vermeiden, sollte ein entsprechender Verzicht im gemeinschaftlichen Testament erklärt werden. Um im Falle der Wiederverheiratung der Situation des überlebenden Ehepartners gerecht zu werden, kann durch die Aufnahme einer Wiederverheiratungsklausel einerseits sichergestellt werden, dass die gemeinsamen Abkömmlinge ihren Anteil am Nachlass des Erstverstorbenen erhalten und andererseits kann der überlebende Ehepartner dann seine Testierfreiheit durch Aufhebung der Wechselbezüglichkeit wiedererlangen.
Während ein Ausschluss der Anfechtungsmöglichkeit wegen Hinzutretens weiterer Pflichtteilsberechtigter gemäß § 2079 BGB daher in jeder Verfügung von Todes wegen enthalten sein sollte, ist der Ausschluss des Anfechtungsrechts nach § 2078 BGB mit Vorsicht zu behandeln, da eine Vorsorge hinsichtlich der Vielfältigkeit der Motive nahezu unmöglich ist und ein umfassender Ausschluss des Motivirrtums ggf. mehr negative als positive Folgen haben kann.
Rz. 82
Im Übrigen ist bei einem Verzicht auf ein Anfechtungsrecht nach § 2078 BGB wegen Motivirrtums der Umfang des Verzichts auf diejenigen Umstände zu beschränken, die der Erblasser voraussehen bzw. mit denen er rechnen konnte. In den Fällen, in denen unvorhersehbare Umstände eintreten, bleibt dann eine Anfechtung wegen Motivirrtums nach § 2078 BGB ...