Rz. 98
Eine weitere Möglichkeit, Drogen- bzw. Alkoholabstinenz zu belegen, bilden Haaranalysen. Da sich Substanzen dauerhaft in den Haaren einlagern, ist bei dieser Form des Screenings auch eine retrospektive Überprüfung möglich. Dies ist zum einen von der Haarlänge selber, zum anderen vom Konsumverhalten und den Untersuchungsmethoden abhängig. Als Daumenregel kann hierbei angenommen werden, dass Kopfhaare etwa 1 cm pro Monat wachsen. Unter dieser Annahme ist es möglich, je nach Fragestellung, eine entsprechende Untersuchung von Haarabschnitten geeigneter Länge durchzuführen. Die Untersuchung der Abschnitte erfolgt immer in den kopfnahen Segmenten. Dabei sollte eine Interpretation möglichst zurückhaltend erfolgen. In den Beurteilungskriterien werden folgende Zeiten vorgegeben:
▪ |
bei Analyse auf EtG: maximal 3 cm, folglich 3 Monate, |
▪ |
bei Analyse auf Drogen oder Medikamente: maximal 6 cm, folglich 6 Monate. |
Eine Untersuchung über diesen Zeitraum hinaus ist nicht zulässig, da es zu Verdünnungseffekten kommen kann, weshalb ein gelegentlicher oder zeitlich begrenzter Konsum nicht mehr aufgedeckt werden kann.
Rz. 99
Um Schwankungen im Wachstum sowie die verschiedenen Wachstumsphasen der Haare auszugleichen, muss eine entsprechend umfangreiche Probe entnommen werden. Es reicht daher nicht aus, einzelne Haare zu untersuchen. Da auch Haarfarbe und -stärke, Pigmentgehalt, Haarstruktur sowie umweltbedingte Einflüsse oder haarkosmetische Behandlungen einen Einfluss auf die Nachweisbarkeitsdauer haben, müssen diese nach Möglichkeit bei der Probengewinnung berücksichtigt und dem zuständigen Untersuchungslabor mitgeteilt werden.
Rz. 100
Generell ist es auch zulässig, als Erstbeleg andere Körperhaare als Probenmaterial zu entnehmen, sofern keine unbehandelten und ausreichend langen Kopfhaare zur Verfügung stehen. Allerdings müssen dann die abweichenden Wachstumszyklen berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Achselhaare nicht auf EtG untersucht werden können, da es durch Schweiß zur Auswaschung kommen kann. Zudem ist die Untersuchung von Körperhaaren i.d.R. nur für die 1. Haarprobe zulässig, sodass alle weiteren Belege entweder mit Kopfhaaren oder einem anschließenden Abstinenzkontrollprogramm mit Urin oder Blut (PEth) geführt werden müssen.
Weitere Informationen zu Haaranalysen, Vor- und Nachteilen sowie Voraussetzungen finden sich in § 20 Rdn 51 ff.
Rz. 101
Für Blut-, Urin- und Haaranalysen gilt gleichermaßen, dass zur Sicherstellung der Qualität der erhobenen Befunde sowohl die Probengewinnung als auch -untersuchung gewissen Standards genügen muss. Daher ist auch bei Fremdbefunden stets zu überprüfen, ob diese nach den sogenannten "CTU-Kriterien" gewonnen worden sind. Die angelegten Gütekriterien für die Chemisch-Toxikologischen Untersuchungen (CTU) lassen sich in den Beurteilungskriterien nachlesen. Unter anderem wird hier Folgendes betont:
„Unterschieden wird prinzipiell zwischen einer Durchführungsverantwortung (Terminvergabe, Identitätsprüfung, Probennahme, Bescheinigung über den Programmverlauf) einerseits und einer analytischen Verantwortung (toxikologische Analyse und Bewertung des Einzelbefundberichtes in akkreditierten Laboren) andererseits. Die zuvor dargestellten Regelungen der FeV [Anlage 4a Nr. 6 b] beziehen sich auf beide Verantwortungsbereiche. Diese Verantwortungen können in einer Hand liegen oder voneinander getrennt werden, eine weitere Aufspaltung der Verantwortlichkeit für einzelne Prozessschritte darf jedoch nicht erfolgen.
[…]
Grundsätzlich gilt, dass die Probennahmestelle bzw. der Probennehmer dem Klienten gegenüber neutral sein muss und nicht in einen Interessenskonflikt kommen darf, wenn sich positive Befunde oder Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung ergeben. Deshalb sollten behandelnde Ärzte, Berater, Therapeuten sowie Rechtsvertreter grundsätzlich ausgeschlossen sein.“
Rz. 102
Praxistipp
Zu warnen ist in diesem Zusammenhang vor unseriösen und selbsternannten (d.h. ohne einschlägige Fachqualifikation) "MPU-Beratern", wie sie in den letzten Jahren insbesondere im Internet zunehmend zu finden sind und die ein Gesamtpaket an Dienstleistungen zur Vorbereitung auf die MPU anbieten. Dabei werden (im Sinne von "alles aus einer Hand") auch teilweise dubiose Abstinenzkontrollprogramme inkludiert, was eindeutig gegen die oben zitierten Qualitätsstandards verstößt.
Rz. 103
Eine im März 2012 vom damaligen Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) eingesetzte Projektgruppe "MPU-Reform" wurde beauftragt, unter Federführung der Bundesanstalt für Straßenwesen die Konzeption einer sogenannten MPU-Reform zu erarbeiten. Ein wichtiger Bestandteil war die Einrichtung einer Projektgruppe, die Ansatzpunkte für eine wissenschaftlich-fachliche Weiterentwicklung der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) identifizieren sollte. Eine gesetzliche Regelung des Bereiches der MPU-Vorbereitung zum Schutz des Verbrauchers vor Fehlentwicklungen der freien Marktwirtschaft in dem...