Rz. 78
Inhaltlich geht es bei der Untersuchung nicht nur um die Vorgeschichtsdaten, sondern auch um die Selbstreflexion des Klienten, sodass neben der Sachebene (aktenkundige Daten) auch die Verarbeitungsebene des Klienten (Erklärung des Geschehenen) analysiert wird. Dabei steht die Entwicklung der problematischen Verhaltensweisen bis zum Delikt/zu den Delikten und danach bis zum Untersuchungstag im Fokus.
Praxistipp
Es muss verständlich werden,
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wie und warum es zu einem Verhalten wie z.B. am Tattag kam (Ursachen, Umstände und Ausmaß des Problemverhaltens), |
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wie der Klient die Auffälligkeit und die folgende strafrechtliche Prozedur verarbeitet hat, insbesondere
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ob und wie er (ggfs. unter Berücksichtigung seiner sprachlichen Möglichkeiten) beschreiben kann, wie er die Tat und ihre Ursachen einer selbstkritischen Analyse unterzogen hat sowie |
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welche Konsequenzen er daraus gezogen hat. |
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Darüber hinaus muss der Klient glaubhaft darstellen können, wie er in Zukunft ein regelkonformes und vor allem sicherheitsbewusstes Verhalten im Straßenverkehr beibehalten kann, um weitere Auffälligkeiten zu vermeiden.
Rz. 79
Dabei haben die Gutachter zunächst zu prüfen, welches Verhalten eine hinreichende Gewähr dafür bietet, dass eine erneute Auffälligkeit nicht mehr wahrscheinlich ist, also ob beispielsweise bei einer Alkoholfragestellung ein kontrolliertes Trinken Erfolg versprechend ist oder ob sogar Alkoholabstinenz erforderlich ist. Sodann stellt sich die Frage, ob diese Änderung tatsächlich erreicht ist und – noch weitergehend – ausreichend motiviert und somit für die Zukunft stabil ist.
Rz. 80
Gerade die Begründung für die Verhaltensänderung spielt für deren Tragfähigkeit eine wesentliche Rolle. Der Wunsch oder die Notwendigkeit, die Fahrerlaubnis zurückzuerhalten, reicht alleine nicht aus. Die Folgen der Änderung des regelwidrigen Verhaltens müssen angegeben werden können, und zwar in der Regel sowohl angenehme (z.B. in Bezug auf eine positive Entwicklung der Partnerschaft oder die verbesserte Fitness) als auch negative (z.B. die Notwendigkeit, den Freundeskreis zu wechseln oder die Freizeit neu zu gestalten). Dabei sollte in der Bilanz ein Überwiegen der positiven Folgen deutlich dargestellt werden können.
Rz. 81
Praxistipp
Bei all diesen Überlegungen ist stets zu berücksichtigen, dass die Angaben des Klienten im psychologischen Untersuchungsgespräch hinsichtlich ihrer generellen Verwertbarkeit für die Beantwortung der Fragestellung beurteilt werden müssen. Denn die im Untersuchungsgespräch ermittelten Befunde sind stets einer Befundsicherung zu unterwerfen. Bereits 1989 hat Kunkel in seiner heute noch gültigen Darstellung der Exploration (heute: "psychologisches Untersuchungsgespräch") fünf Kriterien der Befundsicherung beschrieben:
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Die Angaben müssen präzise und eindeutig sein (statt pauschal und im Allgemeinen verbleibend). |
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Die Angaben müssen mit der Aktenanalyse übereinstimmen (z.B. kann in der Regel eine Flasche Wein selbst im Sturztrunk nicht zu 1,8 ‰ führen). |
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Die Angaben müssen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen übereinstimmen (z.B. stehen pauschale Behauptungen, es falle leicht, auf Alkohol ganz zu verzichten, im Widerspruch zur vorliegenden Literatur). |
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Die Angaben dürfen keine Widersprüche enthalten; sie sollten möglichst konstant sein. |
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Die Angaben dürfen nicht auf Missverständnissen zwischen Gutachter und Klient beruhen; dies kann z.B. durch regelmäßige Rückmeldung der Daten und ihrer Bewertungen vermieden werden. |
Rz. 82
In den heute für die Begutachtung der Fahreignung gültigen Beurteilungskriterien ist die "Befundsicherung" gemäß Kunkel im zu prüfenden Kriterium 4 PUG folgendermaßen definiert bzw. festgelegt:
Zitat
1. |
Die Bewertung der Befunddaten bezieht sich nachvollziehbar auf die Aussagen des Klienten. Dies wird z.B. durch Bezüge zu bestimmten Gesprächsthemen oder exemplarische Zitate von wiedergegebenen Äußerungen kenntlich gemacht. |
2. |
Die im Gutachten dargestellten Schlussfolgerungen beziehen sich auf Vorgeschichtsdaten sowie auf die gewonnenen Gesprächsbefunde zur Problemausprägung, zu Sichtweisen des Klienten und zur Problembewältigung, einschließlich Motivation zur Verhaltensänderung sowie deren Stabilität. |
3. |
Die dargestellten Schlussfolgerungen sind widerspruchsfrei zu gleichartigen Daten aus anderen Untersuchungsteilen oder Datenquellen. Andernfalls werden die Widersprüche nachvollziehbar aufgeklärt. |
4. |
Die Befundbewertung nimmt erkennbar Bezug auf die für den Untersuchungsanlass zutreffenden Hypothesen und Kriterien. Insbesondere wird erkennbar, welche Problemausprägung vonseiten der Gutachter angenommen wird, welche Ursachen für die Problementwicklung – sofern sie aufgeklärt werden konnten – gesehen werden und inwieweit vor diesem Hintergrund eine angemessene und tragfähige Einstellung- und Verhaltensänderung eingetreten ist. |
5. |
Sofern kommunikative Schwierigkeiten des Klienten bestanden, werden diese erläutert und bezüglich der Auswirkungen auf die Verwertbarkeit der Gesprächsbefu... |