Rz. 1

Die Eltern des 1-jährigen Kindes K1 sind verstorben. K1 lebt bei seiner Tante. Es soll davon ausgegangen werden, dass K1 keine Waisenrente erhält. Die Tante bezieht das Kindergeld. G1 ist der Vater des verstorbenen Kindsvaters M. G2 ist der Vater der verstorbenen Kindsmutter F. K1 verlangt Unterhalt von seinen beiden Großvätern G1 und G2, die ansonsten keine weiteren Unterhaltspflichten haben. G1 hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von monatlich 2.300 EUR, G2 ein solches in Höhe von 2.100 EUR.

I. Anspruchsgrundlage für Enkelunterhalt

 

Rz. 2

 

§ 1601 Unterhaltsverpflichtete

Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.

G1, der Großvater väterlicherseits, ist mit K1 in gerader Linie verwandt.

G2, der Großvater mütterlicherseits, ist mit K1 ebenfalls in gerader Linie verwandt.

Die Tante, bei der K1 lebt, ist mit K1 dagegen nur in der Seitenlinie verwandt.

 

§ 1589 Verwandtschaft

(1) Personen, deren eine von der anderen abstammt, sind in gerader Linie verwandt. Personen, die nicht in gerader Linie verwandt sind, aber von derselben dritten Person abstammen, sind in der Seitenlinie verwandt. Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten.

G1 und G2 sind dem Kind K1 also unterhaltspflichtig, weil sie mit ihm in gerader Linie verwandt sind.

Grundsätzlich wären die Kindseltern als die näheren Verwandten des Kindes (Verwandte 1. Grades) vor den Großeltern (Verwandte 2. Grades) unterhaltspflichtig.

 

§ 1606 Rangverhältnisse mehrerer Pflichtiger

(1) …

(2) Unter den Abkömmlingen und unter den Verwandten der aufsteigenden Linie haften die näheren vor den entfernteren.

(3) …

 

§ 1589 Verwandtschaft

(1) … Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten.

Die Eltern von K1 sind jedoch verstorben.

 

§ 1615 Erlöschen des Unterhaltsanspruchs

(1) Der Unterhaltsanspruch erlischt mit dem Tod des Berechtigten oder des Verpflichteten, soweit er nicht auf Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung für die Vergangenheit oder auf solche im Voraus zu bewirkende Leistungen gerichtet ist, die zur Zeit des Todes des Berechtigten oder des Verpflichteten fällig sind.

(2) …

Es besteht deshalb eine ursprüngliche (originäre) Leistungspflicht von G1 und G2. Dieser Fall ist von der bloßen Ersatzhaftung der Großeltern nach § 1607 zu unterscheiden (vgl. hierzu Fall 12, § 1 Rdn 150).

 

§ 1607 Ersatzhaftung und gesetzlicher Forderungsübergang

(1) Soweit ein Verwandter aufgrund des § 1603 nicht unterhaltspflichtig ist, hat der nach ihm haftende Verwandte den Unterhalt zu gewähren.

(2) Das Gleiche gilt, wenn die Rechtsverfolgung gegen einen Verwandten im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist. …

(3) …

(4) …

Vorliegend geht es also nicht um eine Ersatzhaftung der Großeltern wegen Leistungsunfähigkeit der Eltern oder wegen Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen gegen die Eltern[1] (Fall 12, § 1 Rdn 150), sondern um die originäre Inanspruchnahme der beiden Großväter.[2]

[1] Wendl/Klinkhammer, § 2 Rn 797 sowie Wendl/Wönne, § 2 Rn 914.
[2] Vgl. hierzu Wendl/Klinkhammer, Unterhaltsrecht, § 2 Rn 788.

II. Bedarf von K1

 

Rz. 3

 

§ 1610 Maß des Unterhalts

(1) Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt).

(2) Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung.

Minderjährige Kinder und volljährige Kinder in allgemeiner Schulausbildung, die noch im Haushalt eines Elternteils leben, haben noch keine eigene "Lebensstellung". Sie leiten ihre Lebensstellung von den Eltern ab, weshalb auch die Bedarfssätze der DT an das Einkommen der Eltern bzw. des barunterhaltspflichtigen Elternteils anknüpfen.

Vorliegend ist es geboten, auf die Lebensstellung der beiden unterhaltspflichtigen Großväter abzustellen – und nicht auf die der nicht unterhaltspflichtigen Tante, bei der das Kind lebt.

Der Bedarf bestimmt sich nach dem addierten (bereinigten) Einkommen von G1 und G2 und kann der DT entnommen werden. Zum Teil wird auch der Bedarf von Volljährigen mit eigenem Haushalt angesetzt.[3]

G1 und G2 haben zusammen ein bereinigtes Nettoeinkommen von 4.400 EUR (2.300 + 2.100 EUR).

Es kommt deshalb grundsätzlich die Einkommensgruppe 8 (4.301 bis 4.700 EUR) zur Anwendung.

G1 und G2 haben keine weiteren Unterhaltspflichten; es ist nur ein Unterhaltsberechtigter (K1) vorhanden.

Bei der Bestimmung des Bedarfs nach zusammengerechneten Einkommen ist eine Umgruppierung nicht geboten.

Es kann somit die Einkommensgruppe 8 (4.301 bis 4.700 EUR) herangezogen werden.

Kind K1 ist 1 Jahr alt, es fällt also in die Altersstufe 1.

Sein Bedarf beträgt damit grundsätzlich 571 EUR.

Das Kind wird jedoch von der Tante betreut, die nicht unterhaltspflichtig ist und deshalb auch keine Betreuung schuldet.

Deshalb ist der Betreuungsbedarf zu monetarisieren.

Der Gesamtbedarf von K beträgt deshalb 2 × 571 EUR, also 1.142 EUR.

Das ganze Kindergeld (219 EUR) ist b...

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