Rz. 308

Das österreichische materielle Erbrecht ist durch das Erbrechtsänderungsgesetz 2015[339] mit Wirkung vom 1.1.2017 an wesentlich geändert worden. Im österreichischen Recht erwirbt der Pflichtteilsberechtigte wie im deutschen Recht eine Geldforderung gegen den Nachlass. Pflichtteilsberechtigt sind gem. § 762 ABGB der Ehegatte und die Abkömmlinge; fehlen Abkömmlinge, sind seit der Reform 2015 die Vorfahren nicht mehr pflichtteilsberechtigt, auch wenn sie zur gesetzlichen Erbfolge berufen wären. Dem Ehegatten steht auch hier seit dem 1.1.2010 der Partner aus einer gleichgeschlechtlichen eingetragenen Lebenspartnerschaft pflichtteilsrechtlich gleich.

 

Rz. 309

Die Pflichtteilsquote beläuft sich für Abkömmlinge und den Ehegatten bzw. den "Lebenspartner" auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.

 

Rz. 310

Der Ehegatte oder der "Lebenspartner" erhält sein gesetzliches Vorausvermächtnis, § 758 ABGB, auch als Noterbe. Der Voraus ist insoweit testamentarisch nicht entziehbar. Der Ehegatte muss ihn sich aber auf den Pflichtteil anrechnen lassen, § 789 ABGB. Hinzu kommt ein Unterhaltsanspruch des Ehegatten gegen die Erben gem. § 796 ABGB. Die Höhe des Unterhalts orientiert sich an der Regelung des Unterhalts unter Ehegatten in § 94 ABGB, dient also den "angemessenen Bedürfnissen des überlebenden Ehegatten". Was der Ehegatte aus dem Nachlass, aus einer Rente, aus eigenem Vermögen und Einkünften erhält, ist auf diesen Anspruch anzurechnen. Der Anspruch ist wertmäßig auf den Nachlass begrenzt. Noch nicht eindeutig geklärt ist das Rangverhältnis des Unterhaltsanspruchs zu den Pflichtteilen der Angehörigen. Die wohl überwiegende Rechtsprechung und Literatur gehen vom Vorrang der Pflichtteile vor den Unterhaltsansprüchen aus.[340] Die kollisionsrechtliche Behandlung des Unterhaltsanspruchs aus deutscher Sicht ist nicht abschließend geklärt. Da es sich um eine originär mit dem Erbgang in der Person der Erben entstehende Verpflichtung handelt,[341] spricht vieles gegen eine unterhaltsrechtliche (Art. 18 Abs. 1 EGBGB) und für eine erbrechtliche Qualifikation (siehe § 18 Rdn 207).[342]

 

Rz. 311

Der Pflichtteil muss dem Noterben seit der Erbrechtsreform 2015 gem. § 762 ABGB nicht mehr frei bleiben, sondern kann jetzt auch belastet werden, z.B. mit einer Nacherbschaft. Daher kann der Pflichtteilsberechtigte seinen Pflichtteil auch dann nicht mehr verlangen, wenn er zum Nacherben eingesetzt worden ist, wenn sein Erbteil mit der Testamentsvollstreckung belastet ist oder er seinen Pflichtteil in Form einer vermächtnisweisen Zuwendung eines Anteils an einer Personengesellschaft erhält, der vinkuliert ist. Der durch die Belastung entstehende Nachteil ist freilich bei der Bewertung seines Erwerbs zu berücksichtigen. Nur soweit, wie der Pflichtteil durch die Zuwendung nicht gedeckt ist, kann der Pflichtteilsberechtigte seinen Pflichtteil dann noch in Form einer Geldzahlung verlangen, § 763 ABGB.

 

Rz. 312

Der Berechnung ist der Netto-Nachlasswert, vermindert um Nachlassschulden, Todesfallschulden, Kosten der Nachlassverwaltung etc., zugrunde zu legen. Vermächtnisverbindlichkeiten und Erbschaftsteuer können nicht abgezogen werden, Schenkungen auf den Todesfall sind einzubeziehen. Es gilt der Verkehrswert, auch bei Grundstücken. Ausgenommen sind die Erbhöfe. Für die Bewertung landwirtschaftlicher Grundstücke hat die Rechtsprechung zudem eine Begünstigung des Erben eingeführt: Zwar ist grundsätzlich vom Ertragswert auszugehen. Als Pflichtteil sei aber nur so viel zu zahlen, dass der testamentarische Erbe in der Lage bleibt, die Ansprüche ohne große wirtschaftliche Nachteile zu erfüllen. Die Lebensfähigkeit des Hofes (Wohl-Bestehen-Können) dürfe nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.[343]

[339] Öst. BGBl I 2015/87.
[340] Übersicht über den Meinungsstand bei Samek, Pflichtteilsrecht, S. 110 ff.; Stabentheimer, in: Rummel, ABGB-Kommentar, § 142 Rn 4; Eccher, in: Schwimann, ABGB-Praxiskommentar, § 796 Rn 5; Umlauft, Anrechnung, S. 51; Welser, in: Rummel, ABGB-Kommentar, § 796 Rn 9.
[341] Welser, in: Rummel, ABGB-Kommentar, § 796 Rn 2: "Erbgangsschuld".
[342] Vgl. Henrich, in: FS Gernhuber, S. 668 ff.
[343] OGH SZ 45/1989; Maurer, Erben und Vererben auf österreichisch, 5. Aufl., Wien 1999, Rn 175; Eccher, in: Schwimann, ABGB-Praxiskommentar, § 784 Rn 7: "bäuerliches Gewohnheitsrecht".

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