Rz. 316

Schenkungen des Erblassers werden gem. §§ 782 ff. ABGB dem Nachlass zur Berechnung des Pflichtteils zugerechnet, soweit dies die Pflichtteilsberechtigten beantragen (Schenkungspflichtteil). Dabei gelten für die Frist unterschiedliche Regelungen. Schenkungen an eine pflichtteilsberechtigte Person werden dem Nachlass ohne eine gesetzliche Befristung zugerechnet. Hier gibt es also weder die § 2325 Abs. 3 BGB vergleichbare 10-Jahresfrist noch eine "Abschmelzung". Schenkungen an eine nicht pflichtteilsberechtigte Person dagegen werden dem Nachlass nur dann zugerechnet, wenn diese innerhalb von zwei Jahren vor dem Eintritt des Erbfalls erbracht worden sind, § 782 ABGB. Für die Berechnung der 2-Jahresfrist hat der OGH auch die Vermögensopfertheorie des deutschen BGH akzeptiert. Die Frist läuft also bei vorbehaltenen Nutzungen nicht an.[350]

 

Hinweis

Im Fall einer Schenkung an einen Abkömmling oder an einen Ehegatten könnten die Beteiligten die Geltung der 2-Jahresfrist für die Ergänzungspflichtigkeit also dadurch herbeiführen, dass dieser mit dem Erblasser einen Pflichtteilsverzicht oder einen Erbverzicht vereinbart, und damit aus dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten ausscheidet. Der OGH hat entschieden, dass in diesem Fall eine Missbrauchskontrolle vorzunehmen ist.[351] Ein Pflichtteilsverzicht wird also insoweit nicht berücksichtigt, wenn dieser ausschließlich zu dem Zweck vereinbart wurde, in den Genuss der 2-Jahresfrist zu gelangen. Ein derartiger Missbrauch liege insbesondere dann nahe, wenn der Erblasser den Verzichtenden in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Vereinbarung des Verzichts testamentarisch zum Erben eingesetzt hat.

 

Rz. 317

Der Schenkungspflichtteil ist ein selbstständiger Pflichtteilsanspruch neben dem Nachlasspflichtteil. Der Anspruch richtet sich bis zur Höhe des reinen Nachlasses gegen die Erben. Soweit der Schenkungspflichtteil durch den Nachlass nicht gedeckt ist, kann der Noterbe den Beschenkten in Anspruch nehmen. Erbe und Beschenkter können zusätzlich zu ihrer gegenständlichen Haftungsbeschränkung ihre eigenen Schenkungspflichtteile einwenden, § 951 Abs. 3 ABGB. Bei der Geltendmachung des Schenkungspflichtteils muss sich der Noterbe die ihm selbst gemachten Schenkungen auf den Schenkungspflichtteil anrechnen lassen, § 787 Abs. 2 ABGB.

 

Rz. 318

Schenkungen in diesem Sinne sind alle reinen und gemischten Schenkungen, Schenkungen unter Lebenden und auf den Todesfall sowie Zuwendungen an Stiftungen. Auch der Vorteil aus einer Erbausschlagung durch die Großmutter kann Schenkung sein.[352] Keine Schenkungen stellen nach der Rechtsprechung Zuwendungen in Ehepakten dar.[353] Dies gilt insbesondere auch für die Vereinbarung der Gütergemeinschaft auf den Todesfall, mit der der vermögendere Ehegatte dem überlebenden Ehegatten Vermögen am Nachlass vorbei zukommen lassen kann. Ebenso wenig gelten als Schenkung Eintritts- oder Nachfolgeklauseln in Personengesellschaften[354] und Anwachsungsvereinbarungen bei Miteigentumsgemeinschaften[355] aufgrund der grundsätzlich unterstellten Entgeltlichkeit dieser Verträge. Diese Konstruktionen können daher zur Pflichtteilsminderung eingesetzt werden. Ungeklärt ist, inwieweit die Benennung eines Bezugsberechtigten für eine Lebensversicherung Pflichtteilsansprüche auslöst.[356]

 

Rz. 319

Der Ehegatte kann die Zurechnung nur für während der Dauer der Ehe mit dem Erblasser getätigte Schenkungen, ein Kind nur für Schenkungen nach der Geburt (bzw. Zeugung) irgendeines pflichtteilsberechtigten Kindes verlangen, § 785 Abs. 2 ABGB.

 

Rz. 320

Unberücksichtigt bleiben des Weiteren folgende Schenkungen, § 784 ABGB:

Schenkungen, die nicht aus der Vermögenssubstanz, sondern aus laufenden Erträgen bzw. Einkünften geleistet wurden;
Schenkungen, soweit sie einer sittlichen Pflicht oder dem Anstand entsprachen (übliche Gelegenheitsgeschenke; Erbringung einer nicht geschuldeten Leistung, um das Ansehen zu wahren; zu gemeinnützigen Zwecken etc.).
 

Rz. 321

Unberücksichtigt bleiben auch Ausstattungen, Starthilfen zum Berufsanfang und andere Vorschüsse, die der Anrechnung unterliegen. Lediglich die überschießenden Beträge, also "Übermaßausstattungen", und solche Vorschüsse auf den Pflichtteil, die angesichts des Erblasservermögens bei Zahlung offensichtlich überhöht waren, gelten als Schenkung.[357]

[350] OGH Urt. v. 11.9.2014, 2 Ob39/14 w.
[351] Z.B. OGH, Urt. v. 4.11.2004, 1 Ob 152/03 i; Urt. v. 29.9.2016 – 2 Ob 220/15i.
[352] OGH NZ 1987, 42; Eccher, in: Schwimann, ABGB-Praxiskommentar, § 785 Rn 3.
[353] OGH JBl 1973 32; kritisch Bydlinski, JBl 1973, 32; Ehrenzweig/Kralik, Erbrecht, S. 301.
[354] Zuletzt OGH EvBl 1993/71; kritisch Eccher, in: Schwimann, ABGB-Praxiskommentar, § 531 Rn 46; ebenso Samek, Pflichtteilsrecht, S. 179.
[355] Haunschmidt/Haunschmidt, Erbschaft und Testament, Rn 83.
[356] Samek, Pflichtteilsrecht, S. 174; Umlauft, Anrechnung, S. 167.
[357] Ehrenzweig/Kralik, Erbrecht, S. 301.

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