a) Grundsätzliches
Rz. 128
Normalerweise entspricht der gemeine Wert eines Vermögensgegenstands seinem Verkehrswert und somit dem Normalverkaufswert. Unter Normalverkaufswert ist derjenige Preis zu verstehen, der unter normalen Marktbedingungen von jedem Marktteilnehmer erzielt werden könnte. Bei Vorliegen sog. Marktanomalien ist eine Identität des wahren Werts eines Vermögensgegenstands mit seinem derzeit erzielbaren Verkaufspreis aber nicht gegeben. In diesen Fällen stellt die Rechtsprechung auf den sog. inneren oder wahren Wert ab, wobei der BGH aber betont, dass es sich insoweit lediglich um eine "Denkfigur" handele, für deren Anwendung unter gewöhnlichen Umständen kein Raum sei. Im Übrigen ist anzumerken, dass nach der Rechtsprechung die Anwendung des inneren Werts stets nur zu einer Begünstigung, nie aber zu einer Benachteiligung des Pflichtteilsberechtigten führt.
Rz. 129
Trotz einiger Schwierigkeiten orientiert sich die Rechtsprechung i.d.R. an den tatsächlich erzielten Veräußerungspreisen, sofern ein Nachlassgegenstand relativ bald nach dem Erbfall veräußert wird. Der BGH geht sogar so weit, im Rahmen eines Versteigerungsverfahrens oder einer Liquidation erzielte Erlöse als maßgeblich anzusehen, und begründet dies damit, dass der tatsächlich erzielte Veräußerungserlös bei einer zeitnahen Veräußerung eine relativ gesicherte Ebene darstelle, deren Verlassen im erbrechtlichen Bewertungsrecht nicht gerechtfertigt sei.
Rz. 130
Die Preisentwicklung zwischen dem Zeitpunkt des Erbfalls und dem Zeitpunkt der Realisierung des Veräußerungspreises wird durch entsprechende Korrekturen berücksichtigt. Die Veräußerungskosten werden von dem Verkaufserlös in Abzug gebracht.
b) Zeitliche Nähe zum Erbfall
Rz. 131
Hinsichtlich der Frage, bis zu welchem Zeitpunkt eine zeitnahe Veräußerung noch angenommen werden kann, liegt eine abschließende und allgemeingültige Entscheidung durch die Rechtsprechung nicht vor. Für Grundstücks- und Betriebsveräußerungen hat der BGH aber selbst bei Veräußerungen bis zu fünf Jahre, in einem Einzelfall sogar sechseinhalb Jahre nach dem Stichtag, noch eine hinlängliche zeitliche Nähe angenommen. Als gesichert scheint, dass Veräußerungen binnen eines Jahres nach dem Stichtag auf jeden Fall noch als zeitnah gelten.
c) Latente Steuern
Rz. 132
Der Wert einzelner Nachlassgegenstände kann oftmals nur durch deren Versilberung realisiert werden. Vor allem, wenn zum Nachlass auch Betriebsvermögen gehört, können durch dessen Veräußerung einkommensteuerpflichtige Gewinne entstehen (§ 16 Abs. 3 EStG). Die daraus resultierende Steuerbelastung hat der Erbe zu tragen. Der BGH hat die Frage, wie diese sog. latenten Steuerlasten sich auf den Wert der betroffenen Nachlassgegenstände auswirken, bereits im Jahre 1972 dahin gehend entschieden, dass es sich in keinem Fall um abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten handeln könne, eine Berücksichtigung z.B. im Rahmen einer Unternehmensbewe...