I. Voraussetzungen der Anwendbarkeit von § 2306 BGB
Rz. 38
Den Fall, dass der dem Pflichtteilsberechtigten hinterlassene Erbteil mit Beschränkungen oder Beschwerungen belastet ist, also ihm nicht zur freien Verfügung steht und ihm bei wirtschaftlicher Betrachtung evtl. weniger als sein Pflichtteil verbleibt, regelt § 2306 BGB.
Rz. 39
Erste Voraussetzung für seine Anwendung ist, dass der Pflichtteilsberechtigte Erbe ist. Demzufolge gilt § 2306 BGB auch für den pflichtteilsberechtigten Alleinerben, der die Erbschaft wirksam ausgeschlagen hat. Sein Erbteil muss aber mit (wenigstens) einer der im Gesetz enumerativ und abschließend aufgezählten Beschränkungen oder Beschwerungen belastet sein. Diese muss bzw. müssen den Pflichtteilsberechtigten mit dem Erbfall objektiv treffen; subjektive Vorstellungen spielen keine Rolle. Das (rechtliche und tatsächliche) Ausmaß der Belastung ist ohne Belang. Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt des Erbfalls. Belastungen und Beschwerungen, die sich bis dahin bereits erledigt haben, treffen den Erben aber objektiv nicht; sie werden daher bei § 2306 BGB nicht berücksichtigt. Das gilt auch für nach dem Erbfall wegfallenden Beschränkungen, die sich derart erledigen, dass die mit ihnen verbundenen Belastungen ex tunc, also von Anfang an, ihre Wirkung verlieren und somit diejenige rechtliche Situation entsteht, die auch bestehen würde, wenn eine Beschränkung nie angeordnet worden wäre. Beispiele hierfür sind unwirksame Anordnungen, Auflagen, deren Gegenstand weggefallen ist, oder auch infolge einer Ausschlagung gegenstandslos gewordene Vermächtnisse. Belastungen, die sich nach dem Erbfall mit Wirkung ex nunc erledigen, haben auf die Anwendbarkeit des § 2306 BGB keinen Einfluss, wenn der Pflichtteilsberechtigte vor Wegfall der Belastung die Erbschaft ausgeschlagen hat.
Rz. 40
Beschränkungen und Beschwerungen i.S.v. § 2306 BGB sind insbesondere:
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Die Teilungsanordnung, und zwar gleichgültig, ob in Form eines Teilungsverbots (§ 2044 BGB) oder in Form von positiven Anordnungen betr. die Art und Weise der Nachlassteilung (§ 2048 BGB). Teilungsanordnungen stellen stets eine Beschränkung des Erben dar, wenn sie den Pflichtteilsberechtigten in irgendeiner Weise benachteiligen. |
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Vom Erblasser angeordnete Vermächtnisse (§§ 2147 ff. BGB) und Auflagen (§§ 2192 ff. BGB) sind ebenfalls immer als Beschwerungen i.S.d. § 2306 BGB anzusehen. Gleiches gilt auch für das gesetzliche Vermächtnis des Dreißigsten (§ 1969 BGB), nicht aber für den Voraus des Ehegatten, da dieser nach § 2311 BGB ohnehin dem Pflichtteilsanspruch vorgeht. |
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Auch die Anordnung einer Testamentsvollstreckung (§§ 2197 ff. BGB) ist in § 2306 BGB ausdrücklich genannt. Wegen des mit ihr verbundenen Ausschlusses der Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis des Erben bildet sie stets eine Beschränkung des pflichtteilsberechtigten Erben. |
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Wird der Pflichtteilsberechtigte als Vorerbe eingesetzt, ist er ebenfalls nach § 2306 BGB belastet, und zwar auch bei befreiter Vorerbschaft oder bei Einsetzung eines Nacherben auf den Überrest (§ 2137 BGB). Ist der Pflichtteilsberechtigte selbst (nur) als Nacherbe berufen, steht diese Anordnung des Erblassers gem. § 2306 Abs. 2 BGB den Beschränkungen und Beschwerungen des Abs. 1 gleich. Insoweit kann bei der Frage, ob die Nacherbschaft wertmäßig die Pflichtteilsquote erreicht oder übersteigt, nur auf den Zeitpunkt des Erbfalls abgestellt werden. Veränderungen, die sich bis zum Zeitpunkt der Nacherbfolge ergeben, sind nicht zu berücksichtigen. |
Rz. 41
Keine Beschränkung oder Beschwerung ist die ersatzweise Erbeinsetzung eines Dritten. Schließt der Erblasser gem. §§ 1638, 1639 BGB die gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen von der Verwaltung des ererbten Vermögens aus, stellt dies allein für den Minderjährigen keine Beschränkung dar.
Rz. 42
Streitig ist die Bedeutung von Schiedsklauseln, die teilweise als beschwerende Auflagen angesehen werden. Im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber die Schiedsgerichtsbarkeit als eine gleichwertige, privatautonome Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit ansieht, soweit sie die Gewähr für eine unabhängige und unparteiliche Rechtsprechung bietet, kann von einer Belastung des Erben in diesem Zusammenhang tatsächlich aber wohl nicht gesprochen werden. Selbst wenn man also eine Auflage annähme, hätte diese keinesfalls belastenden Charakter, sodass § 2306 BGB ausscheidet.