Rz. 144
Kann der gemeine Wert eines im Nachlass befindlichen gewerblichen Unternehmens nicht aus einem zeitnahen Kauf- bzw. Verkaufspreis abgeleitet werden, muss der Unternehmenswert geschätzt werden. In der Praxis bestehen insoweit erhebliche Schwierigkeiten, die nicht zuletzt auf das Fehlen einer allgemein anerkannten und durchweg gültigen Bewertungsmethode zurückzuführen sind. Lediglich einige Kernaussagen sind unbestritten:
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Der Unternehmenswert ist nicht die bloße Summe der Werte der einzelnen Gegenstände des Betriebsvermögens. |
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Eine Wertermittlung nach der Vergleichswertmethode scheidet aus. |
Rz. 145
Seit einiger Zeit wird von weiten Teilen der Literatur die Ertragswertmethode favorisiert. Beim Ertragswertverfahren werden die künftig zu erwartenden Überschüsse aus den in der Vergangenheit – i.d.R. in den letzten drei bis fünf bzw. sieben Jahren vor dem Erbfall – hochgerechnet. Der Ertragswert entspricht dem Betrag, der unter Anwendung eines angemessenen Kapitalisierungszinsfußes eine laufende Rendite i.H.d. prognostizierten Überschüsse erwarten lässt. Von ganz entscheidender Bedeutung – und daher mit erheblichem Streitpotenzial behaftet – ist vor diesem Hintergrund die Festlegung des angemessenen Kapitalisierungszinsfußes. Er hat für die Berechnung des Ertragswerts entscheidende Bedeutung.
Rz. 146
Der so ermittelte Ertragswert ist anschließend um den gemeinen Wert der nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände zu erhöhen, da diese von einem gedachten Erwerber des gesamten Betriebs jederzeit veräußert werden könnten, ohne dass die prognostizierten Erträge hierunter leiden würden. Die Wertuntergrenze bildet der Zerschlagungswert.
Rz. 147
Aus dem angloamerikanischen Raum stammen verschiedene Bewertungsansätze, die unter dem Begriff "Discounted Cash-Flow- (DCF-)Methoden" Eingang in die Betriebswirtschaftslehre gefunden haben. Diesen Ansätzen ist gemeinsam, dass die entnahmefähigen Überschüsse des Unternehmens (Free Cash-Flow) auf den Bewertungsstichtag abgezinst werden. Die DCF-Methoden unterscheiden sich also im Prinzip nicht von der modernen Ertragswertmethode. Sie präzisieren lediglich die Prognose der Einzahlungsüberschüsse und des Kalkulationszinses.
Rz. 148
Höchstrichterliche Entscheidungen zu Fragen der Unternehmenswertermittlung im Zusammenhang mit der Bemessung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen sind bislang äußerst spärlich. Im Übrigen darf nicht übersehen werden, dass sich die Betriebswirtschaftslehre gerade im Bereich der Unternehmensbewertung sehr stark fortentwickelt hat. Der früher mögliche Rückgriff auf den Substanzwert oder die Bildung eines Mittelwerts aus Substanz- und Ertragswert ist heute durch die ertrags- bzw. cash-flow-orientierten Bewertungsverfahren so gut wie vollständig verdrängt.
Rz. 149
Auch der BGH gibt heute der Ertragswertmethode eindeutig den Vorzug, sodass Substanz- und Mittelwertmethode als überholt angesehen werden können. Nach wohl h.M. in der Literatur bildet der Liquidationswert grundsätzlich die Untergrenze des Unternehmenswerts.
Rz. 150
Bei kleineren und mittleren Unternehmen kommt insbesondere den persönlichen Qualitäten und Beziehungen des Unternehmers eine erhebliche wertbeeinflussende Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund ist nach der Rechtsprechung in erster Linie auf die Substanzwertmethode zurückzugreifen und das so erzielte Bewertungsergebnis um einen evtl. vorhandenen Geschäfts- oder Firmenwert zu erhöhen.
Rz. 151
Ähnlich geht die Rechtsprechung auch bei freiberuflichen Unternehmen vor:
Rz. 152
Für die Wertbestimmung einer Arztpraxis ist laut BGH ebenfalls ein Gesamtwert aus Sachwert und ideellem Wert ("Goodwill") zu bilden. Der ideelle Wert soll hierbei i.d.R. mit 25 Prozent des Vorjahresumsatzes angesetzt werden. Bei Zahnarztpraxen soll der Wert lediglich zwischen 5 und 10 Prozent liegen, da es für den Patienten hier noch stärker auf die Person des Praxisübernehmers ankomme, als dies bei praktischen Ärzten ohnehin schon der Fall sei. Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben zuletzt 2008 gemeinsame Hinweise zur Bewertung von Arztpraxen veröffentlicht. Diese können in der Praxis für die Bewertung herangezogen werden.
Rz. 153
Bei Anwaltskanzleien wird für die Bewertung auch im Rahmen der Bestimmung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen auf den sog. Übergabewert bzw. bei Sozietäten auf den Beteiligungswert abzustellen sein. Dieser ergibt sich aus dem Substanzwert und dem sog. Praxiswert (Firmenwert, "Goodwill"). Spätestens seit der Entscheidung des RG vom 24.11.1936 ist unbestritten, dass auch eine Rechtsanwaltskanzlei einen "inneren" Wert haben kann.
Rz. 154
Bei einem reinen Architekturbüro hat das OLG München einen "Goodwill" aber verneint. Hier sei die persönliche und schöpferische Leistung des Architekten allein als für die Beauftragung ausschlaggebend anz...