I. Voraussetzungen des § 2307 BGB
1. Vermächtniseinsetzung
Rz. 47
Ist dem Pflichtteilsberechtigten (nur) ein Vermächtnis hinterlassen, stellen sich seine Reaktionsmöglichkeiten wesentlich flexibler dar als im Fall des § 2306 BGB. Unabhängig vom Wert des Vermächtnisses, von darauf liegenden Belastungen oder sonstigen Einschränkungen hat er stets die Wahl, das Vermächtnis anzunehmen oder es auszuschlagen. Den Pflichtteil verliert er unter keinen Umständen. Unsinnige oder nicht dem Interesse des Pflichtteilsberechtigten entsprechende gegenständliche Zuweisungen hindern die Pflichtteilsgeltendmachung nicht. Auf diese Weise wird dem Erblasser die Möglichkeit genommen, dem Pflichtteilsberechtigten ein an die Stelle des Pflichtteils tretendes Vermächtnis aufzudrängen.
Rz. 48
Voraussetzung der Anwendung des § 2307 BGB ist allein, dass dem Pflichtteilsberechtigten ein Vermächtnis hinterlassen ist. Auf dessen weitere Ausgestaltung (z.B. Belastungen oder Beschwerungen) kommt es nicht an. § 2307 BGB erfasst daher auch belastete Vermächtnisse, bei denen z.B. ein Untervermächtnis (§ 2147 BGB) oder eine Auflage (§ 2192 BGB) zu Lasten des Vermächtnisnehmers oder eine Testamentsvollstreckung (wenn es sich um eine reine Vermächtnisvollstreckung handelt, § 2223 BGB) angeordnet ist. Gleiches gilt für auflösend bedingte oder befristete Vermächtnisse.
Rz. 49
Umstritten ist indes teilweise die Einordnung von aufschiebend bedingten oder befristeten Vermächtnissen und Nachvermächtnissen. Die Rechtsprechung und die überwiegende Ansicht in der Literatur gehen davon aus, dass § 2307 BGB auch hinsichtlich des aufschiebend befristeten Vermächtnisses anwendbar ist. Abgesehen von der dogmatischen Einordnung sprechen auch Praktikabilitätserwägungen für diese Sichtweise, da sonst die Nachlassabwicklung erheblich verzögert würde. Der Pflichtteilsberechtigte müsste sich dann – evtl. viele Jahre nach dem Erbfall – den bereits erhaltenen Pflichtteil auf das Vermächtnis anrechnen lassen, wobei das Vermächtnis vielleicht sogar nur mit dem Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls anzusetzen wäre. Die hiermit verbundenen Probleme wären wohl kaum beherrschbar. Vor diesem Hintergrund weist auch die Rechtsprechung zu Recht auf die Zielsetzung des § 2307 BGB hin, rasch für klare Verhältnisse zu sorgen. Somit ist auch bei der bedingten Vermächtniseinsetzung eine Geltendmachung des vollen Pflichtteils nur nach Ausschlagung des Vermächtnisses möglich.
2. Anordnungen außerhalb des Regelungsbereichs von § 2307 BGB
Rz. 50
Anders ist die Situation allerdings, wenn der Pflichtteilsberechtigte nur als Ersatzvermächtnisnehmer eingesetzt ist, ihm das Vermächtnis also nur unter der Bedingung anfällt, dass der zunächst Berufene nicht Vermächtnisnehmer wird. Hier ist dem Pflichtteilsberechtigten bis zum Wegfall des zunächst berufenen Vermächtnisnehmers nichts hinterlassen und daher eine Ausschlagung mangels Bezugsobjekts gar nicht möglich.
Rz. 51
Kommt es nach Pflichtteilsgeltendmachung zum Anfall (und zur Annahme) des Vermächtnisses, hat sich der Pflichtteilsberechtigte den erhaltenen Pflichtteil anrechnen zu lassen oder das Geleistete zurückzugewähren.
Rz. 52
Auf Auflagen, deren Begünstigter der Pflichtteilsberechtigte ist, kann § 2307 BGB weder seines Wortlautes nach noch analog angewendet werden. Eine Ausschlagung ist auch hier von vornherein ausgeschlossen. Das Gleiche gilt, wenn der Pflichtteilsberechtigte aufgrund der Erfüllung einer dem Erben oder einem Vermächtnisnehmer auferlegten Bedingung etwas erhält.
II. Ausschlagungsmöglichkeit nach § 2307 Abs. 1 BGB
Rz. 53
Bei Ausschlagung des Vermächtnisses richten sich die Rechtsfolgen grundsätzlich nach § 2180 BGB. Hat der Pflichtteilsberechtigte das Vermächtnis angenommen, ist eine spätere Ausschlagung nicht mehr möglich, ebenso wenig nach Erlöschen des Vermächtnisses. Während seines Bestehens ist das Wahlrecht nach § 2307 BGB einschließlich des Ausschlagungsrechts aber auch vererblich. Auch wenn sogar eine Ausschlagung durch schlüssiges Verhalten möglich ist, kann in der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nur dann eine konkludente Ausschlagung zu sehen sein, wenn der Pflichtteilsschuldner mit dem Vermächtnisschuldner identisch ist.
Rz. 54
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