I. Allgemeines
Rz. 67
Sowohl § 2306 BGB als § 2307 BGB stellen den Pflichtteilsberechtigten vor die Wahl, entweder die ihm zugedachten belasteten Zuwendungen anzunehmen oder sie auszuschlagen und den Pflichtteil geltend zu machen. Im Hinblick darauf, dass die diesbezüglichen Entscheidungen des Pflichtteilsberechtigten oftmals unter erheblichem Zeitdruck zu treffen sind und daher erhebliche Risiken bergen, gewährt § 2308 BGB unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, eine Ausschlagung auch wegen Motivirrtums anzufechten. So wird verhindert, dass der ausschlagende Pflichtteilsberechtigte infolge des nach seiner Ausschlagung eintretenden Wegfalls der Beschwerungen bzw. Beschränkungen i.S.d. § 2306 Abs. 1 BGB seines – dann wertvolleren – Erbteils verlustig geht. Dies gilt auch dann, wenn die Ausschlagung wegen des Wegfalls nur einer von mehreren Belastungen angefochten wird. Denn auch hier lässt sich mitunter durch die Annahme des (immer noch belasteten) Erbteils bzw. Vermächtnisses ein für den Pflichtteilsberechtigten wirtschaftlich günstigeres Ergebnis erzielen.
Rz. 68
Die Anwendung von § 2308 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass dem Pflichtteilsberechtigten ein belasteter Erbteil – in welchem Umfang auch immer – hinterlassen ist, § 2306 Abs. 1 BGB. Nach § 2308 Abs. 2 BGB gelten im Übrigen die Regelungen über die Anfechtung der Erbteilausschlagung entsprechend. Lediglich hinsichtlich der Anfechtungserklärung besteht die Besonderheit, dass sie gem. § 2308 Abs. 2 S. 2 BGB nicht gegenüber dem Nachlassgericht, sondern gegenüber dem Beschwerten erfolgt.
II. Objektives Bestehen der Belastung im Zeitpunkt des Erbfalls
Rz. 69
Die Ausschlagung sowohl des belasteten Erbteils als auch des belasteten Vermächtnisses setzt voraus, dass zur Zeit des Erbfalls Beschränkungen und Beschwerungen des Zugewendeten objektiv bestanden haben. Diese müssen im Zeitpunkt der Ausschlagung – wenigstens teilweise (der Wegfall einer von mehreren Belastungen genügt!) – weggefallen sein. Ein späterer Wegfall der Beschränkungen bzw. Beschwerungen (also nach erfolgter Ausschlagung) rechtfertigt die Anfechtung aber nicht. Dasselbe gilt, wenn der Pflichtteilsberechtigte über die rechtliche Tragweite bzw. den Umfang der angeordneten Belastungen oder über deren wirtschaftliche Auswirkungen im Irrtum war.
Rz. 70
Umstritten ist, ob auch ein nach der Ausschlagung, aber mit Rückwirkung auf den Erbfall (ex tunc) eintretender Wegfall von Belastungen die Anfechtung rechtfertigen kann. Während der BGH hier dem Pflichtteilsberechtigten die Anfechtung gem. § 2308 BGB zubilligt, um ihm auf diese Weise das wirtschaftlich günstigste Ergebnis zu sichern, lehnt die h.M. in der Literatur die Anfechtbarkeit zu Recht ab. Im Zeitpunkt der Ausschlagung liegt keine Fehlvorstellung vor. Demzufolge ist der Pflichtteilsberechtigte insoweit nicht schutzwürdig.
III. Fehlende Kenntnis vom Wegfall der Belastung
Rz. 71
Weitere Voraussetzung für eine Anfechtung der Ausschlagung ist, dass der Pflichtteilsberechtigte bei Erklärung der Ausschlagung keine Kenntnis vom Wegfall der Belastung des ihm Zugewandten hatte. Auf die Ursache der Unkenntnis kommt es nicht an. Auch Irrtum und grobe Fahrlässigkeit schaden insoweit nicht.
Rz. 72
Auch die Anfechtung nach § 2308 BGB entfaltet die Wirkungen des § 1957 Abs. 1 BGB. Sie führt daher automatisch zur Annahme der Erbschaft, sodass die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs (§ 2303 BGB) ausgeschlossen wird. Gleichzeitig hat der seine Erben- bzw. Vermächtnisnehmerstellung zurückerlangende Pflichtteilsberechtigte die mit dieser verbundenen, nicht weggefallenen Beschränkungen und Beschwerungen zu erfüllen bzw. zu dulden.