Rz. 75
Für die Höhe des Pflichtteilsanspruchs sind zwei Faktoren bestimmend: zum einen die gesetzliche Erbquote und zum anderen der Bestand bzw. Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls (§§ 2303 Abs. 1 S. 2, 2311 BGB). Nach § 2303 Abs. 1 BGB beträgt der Pflichtteil die Hälfte des Werts des gesetzlichen Erbteils. Er ist daher grundsätzlich durch Anwendung der zutreffenden Pflichtteilsquote auf den Wert des Nachlasses zu errechnen.
Rz. 76
Hinsichtlich der Bestimmung der maßgeblichen Erbquoten stellt § 2310 S. 1 BGB klar, dass anstatt der konkreten Erbquote eine abstrakte Quote entscheidend sein soll. Bei deren Bestimmung werden auch die enterbten (§ 1938 BGB) und die für erbunwürdig erklärten Erben (§§ 2339 ff. BGB) mitgezählt, ebenso diejenigen, die ausgeschlagen haben. Ob sie im konkreten Fall selbst das Recht haben, den Pflichtteil geltend zu machen, ist ohne Bedeutung. Gleiches gilt für die Frage, ob der als gesetzlicher Erbe Weggefallene überhaupt zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehört, ob er für pflichtteilsunwürdig erklärt wurde oder ob ihm der Pflichtteil wirksam entzogen ist.
Rz. 77
Nicht mitgezählt werden dagegen diejenigen, die zum Zeitpunkt des Erbfalls vorverstorben sind, und diejenigen, die auf ihren Erbteil verzichtet haben (§ 2310 S. 2 BGB). Der Erbverzicht wirkt für die verbleibenden gesetzlichen Erben grundsätzlich pflichtteilserhöhend. Erfolgte er unter Vorbehalt des Pflichtteilsrechts, ist § 2310 S. 2 BGB nicht anwendbar. Denn "der harte Kern des Erbrechts, das Pflichtteilsrecht" bleibt beim Pflichtteilsvorbehalt unangetastet.
Rz. 78
Bei einem verheirateten Erblasser wirkt sich der Güterstand sowohl auf die Erb- als auch auf die Pflichtteilsquoten aus. Wird der Ehegatte aufgrund Enterbung oder Ausschlagung weder Erbe noch Vermächtnisnehmer, bestimmt sich sein Pflichtteil nach der nicht erhöhten Erbquote, §§ 1931, 1371 Abs. 2 BGB. Neben Erben erster Ordnung hat der Ehegatte dann grundsätzlich einen Pflichtteil von ⅛. Zu beachten ist, dass sich in einem solchen Fall auch der Pflichtteil anderer Pflichtteilsberechtigter erhöhen kann (§ 1371 Abs. 2 S. 2 BGB). Wird der Ehegatte dagegen Alleinerbe, bemessen sich die Pflichtteilsquoten der anderen Pflichtteilsberechtigten nach dem ggf. erhöhten Erbteil des Ehegatten.
Rz. 79
Der Zugewinnehegatte hat auch stets die Möglichkeit, durch eine "taktische Ausschlagung" in die Position des Pflichtteilsberechtigten zu gelangen. § 1371 Abs. 3 BGB eröffnet ihm – sowohl als gesetzlichem als auch als gewillkürtem Erben oder Vermächtnisnehmer – die Wahlmöglichkeit, entweder
▪ |
die ihm zugewandte Erbschaft bzw. das Vermächtnis anzunehmen (erbrechtliche Lösung) oder |
▪ |
die Erbschaft bzw. das Vermächtnis auszuschlagen, um stattdessen den güterrechtlichen Zugewinnausgleich nebst Pflichtteil, errechnet aus der nicht erhöhten Erbquote (kleiner Pflichtteil), zu fordern (güterrechtliche Lösung). |
Rz. 80
Ist der Ehegatte sowohl mit einem Erbteil als auch mit einem Vermächtnis bedacht, muss er beides ausschlagen, wenn er die güterrechtliche Lösung wählen möchte.
Rz. 81
Der enterbte Ehegatte, dem auch kein Vermächtnis hinterlassen ist, kann neben dem konkret errechneten Zugewinnausgleich nur den kleinen Pflichtteil verlangen, § 1371 Hs. 2 BGB. Eine Wahlmöglichkeit zum großen Pflichtteil aus der nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten Erbquote besteht nicht.
Rz. 82
Der große Pflichtteil kommt daher nur in folgenden Fällen in Betracht:
▪ |
als Zusatzpflichtteil gem. § 2305 BGB, soweit der Ehegatte auf eine Erbquote eingesetzt ist, die unter seinem Pflichtteil liegt, oder |
▪ |
als Pflichtteilsrestanspruch gem. § 2307 BGB, soweit der Ehegatte lediglich mit einem Vermächtnis bedacht wurde, dessen Wert ebenfalls unter dem Pflichtteil liegt. |
In diesen Fällen ist bei der Bestimmung der Pflichtteilsquote des Ehegatten jeweils von dem um ¼ erhöhten Erbteil auszugehen. Mangels tatsächlicher Geltendmachung des Zugewinnausgleichsanspruchs entfällt eine konkrete Zugewinnausgleichsberechnung.