1. Bewertungsgrundsätze
Rz. 126
Die vom Gesetzgeber in den §§ 2311, 2312, 2313 BGB niedergelegten Vorgaben sind in weiten Teilen unvollständig. Ziel der Bewertung ist es aber nach h.M., den vollen, wirklichen Wert der einzelnen Nachlassgegenstände und somit des Nachlasses insgesamt zu ermitteln. Problematisch ist dies bereits deswegen, weil das BGB den vollen, wirklichen Wert nicht ausdrücklich definiert, sondern ihn stattdessen sozusagen voraussetzt.
Rz. 127
§ 9 Abs. 2 BewG bestimmt den gemeinen Wert anhand des Preises, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse bleiben außen vor. Die Übernahme dieser steuerrechtlichen Definition begegnet wohl keinen Bedenken. Dass durch den Erblasser angeordnete Wertfestsetzungen bzw. Vorgaben nicht verbindlich sind, stellt § 2311 Abs. 2 S. 2 BGB ausdrücklich klar. Die Regelung erfasst aber über ihren Wortlaut hinaus auch die Vorgabe bestimmter Bewertungsmethoden, wenn bzw. soweit diese nicht die Ermittlung des wahren Werts zum Ziel haben. Selbst die Person des Schätzers kann der Erblasser nicht vorschreiben. Auch subjektive Verwendungsentscheidungen des Erben dürfen sich auf die Wertermittlung nicht auswirken. Vielmehr ist von einem "idealen Erben", der seine wirtschaftlichen Dispositionen allein an wirtschaftlich vernünftigen und nachvollziehbaren Kriterien ausrichtet, auszugehen.
2. Verkaufspreis als vorrangiger Bewertungsmaßstab
a) Grundsätzliches
Rz. 128
Normalerweise entspricht der gemeine Wert eines Vermögensgegenstands seinem Verkehrswert und somit dem Normalverkaufswert. Unter Normalverkaufswert ist derjenige Preis zu verstehen, der unter normalen Marktbedingungen von jedem Marktteilnehmer erzielt werden könnte. Bei Vorliegen sog. Marktanomalien ist eine Identität des wahren Werts eines Vermögensgegenstands mit seinem derzeit erzielbaren Verkaufspreis aber nicht gegeben. In diesen Fällen stellt die Rechtsprechung auf den sog. inneren oder wahren Wert ab, wobei der BGH aber betont, dass es sich insoweit lediglich um eine "Denkfigur" handele, für deren Anwendung unter gewöhnlichen Umständen kein Raum sei. Im Übrigen ist anzumerken, dass nach der Rechtsprechung die Anwendung des inneren Werts stets nur zu einer Begünstigung, nie aber zu einer Benachteiligung des Pflichtteilsberechtigten führt.
Rz. 129
Trotz einiger Schwierigkeiten orientiert sich die Rechtsprechung i.d.R. an den tatsächlich erzielten Veräußerungspreisen, sofern ein Nachlassgegenstand relativ bald nach dem Erbfall veräußert wird. Der BGH geht sogar so weit, im Rahmen eines Versteigerungsverfahrens oder einer Liquidation erzielte Erlöse als maßgeblich anzusehen, und begründet dies damit, dass der tatsächlich erzielte Veräußerungserlös bei einer zeitnahen Veräußerung eine relativ gesicherte Ebene darstelle, deren Verlassen im erbrechtlichen Bewertungsrecht nicht gerechtfertigt sei.
Rz. 130
Die Preisentwicklung zwischen dem Zeitpunkt des Erbfalls und dem Zeitpunkt der Realisierung des Veräußerungspreises wird durch entsprechende Korrekturen berücksichtigt. Die Veräußerungskosten werden von dem Verkaufserlös in Abzug gebracht.