1. Grundsätzliches
Rz. 244
Nach § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB sind Schenkungen grundsätzlich nur dann ergänzungspflichtig, wenn zwischen der Leistung des Geschenks und dem Erbfall weniger als zehn Jahre vergangen sind. Es handelt sich hier – auch nach der Erbrechtsreform – um eine echte Ausschlussfrist, die den Anspruch per se zunichtemacht. Daher ist sie im Fall der gerichtlichen Geltendmachung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs von Amts wegen zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die Abschmelzung nach § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB (vgl. Rdn 254 ff.).
2. Fristbeginn
a) Leistungserbringung
Rz. 245
Ab welchem Zeitpunkt die Frist zu laufen beginnt, ist aber oft problematisch. Denn der in § 2325 Abs. 3 BGB genannte Zeitpunkt der "Leistungserbringung" lässt die Frage offen, ob schon die bloße Leistungshandlung oder erst der Eintritt des Leistungserfolgs maßgeblich sein soll. Die h.M. stellt grundsätzlich auf den Leistungserfolg, also den Eigentumsübergang, ab.
b) "Genussverzicht"
Rz. 246
Darüber hinaus verlangt der BGH die endgültige Ausgliederung des Geschenks aus dem wirtschaftlichen Verfügungsbereich des Erblassers. Liegt ein sog. Genussverzicht nicht vor, beginnt die Zehnjahresfrist nicht zu laufen. Zur Begründung verweist der BGH auf die Protokolle zum Entwurf des § 2325 BGB. Hintergrund der Regelung sei gewesen, das Recht des Beschenkten nicht zu lange im Schwebezustand zu halten, da sich die pflichtteilsberechtigten Angehörigen nach so langer Zeit an die eingetretene Vermögensminderung gewöhnt hätten. Eine Benachteiligungsabsicht sei bei Schenkungen, deren Folgen der Erblasser noch selbst längere Zeit zu tragen hätte, eher unwahrscheinlich.
Rz. 247
Die Sichtweise des BGH ist teilweise heftiger (und berechtigter) Kritik der Literatur ausgesetzt. Sie birgt die Gefahr erheblicher Rechtsunsicherheiten, da eine konkrete Abgrenzung, ob ein "Genussverzicht" im Einzelfall vorliegt oder nicht, mitunter kaum möglich ist. Insbesondere die Fälle, in denen sich der Schenker nur ein anteiliges Nutzungsrecht, z.B. einen Quotennießbrauch, vorbehält, sind derzeit praktisch kaum zu lösen. Angesichts der Formulierung des Gesetzes, die lediglich den rechtlichen Leistungserfolg und nicht auch den wirtschaftlichen fordert, kann die Rechtsprechung des BGH wohl zu Recht als richterliche Rechtsfortbildung bezeichnet werden. Dass diese Entwicklung in die richtige Richtung geht, darf indes bezweifelt werden.
Rz. 248
Immerhin geht die Rechtsprechung – wenn auch nicht die des BGH – zunehmend in die Richtung, nur auf Teile des übertragenen Vermögens erstreckte Nutzungsvorbehalte im Hinblick auf den Beginn der Zehn-Jahres-Frist nicht als hinderlich anzusehen. Rechtssichere Gestaltungen lassen sich hierauf jedoch leider nicht aufbauen.
Rz. 249
Bei Grundstücksübertragungen beginnt die Frist grundsätzlich mit der Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch (§ 873 Abs. 1 BGB) zu laufen, nicht etwa bereits mit dem Erwerb einer Anwartschaft. Besonderheiten gelten aber, wenn das Grundstück unter Vorbehalt eines Nießbrauchs oder eines Wohnrechts übertragen wurde.
Rz. 250
Beim Vorbehaltsnießbrauch gibt der Erblasser den "Genuss" des verschenkten Gegenstands gerade nicht auf. Eine "Leistung" i.S.d. § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB des verschenkten Gegenstands liegt daher trotz Umschreibung im Grundbuch nicht vor. Dasselbe gilt auch bei einem Wohnungsrecht, wenn dem Eigentümer keine eigenständige Nutzungsmöglichkeit verbleibt. Die Frist des § 2325 Abs. 3 Hs. 1 BGB beginnt erst dann zu laufen, wenn das Nutzungsrecht erlischt oder der Berechtigte von ihm keinen Gebrauch mehr macht (bzw. machen kann).
Rz. 251
Obwohl höchstrichterlich noch nicht entschieden, stellt sich angesichts der vom BGH für den Fristbeginn geforderten "wirtschaftlichen" Vermögensausgliederung bzw. des Genussverzichts die Frage, ob ein Widerrufsvorbehalt in einem Übergabevertrag (bedingter Rückübertragungsanspruch) der Ingangsetzung der Frist des § 2325 Abs. 3 BGB entgegensteht. Rückforderungsklauseln, die auf abschließend aufgezählte Fälle, z.B. das Vorversterben des Übernehmers, beschränkt sind, stehen dem Fristbeginn aber nach überwiegender Meinung nicht entgegen. Denn der Eintritt der Bedingung ist dem Einflussbereich des Erblassers entzogen.