Rz. 217
Für den Fall, dass der reale Nachlass durch lebzeitige Schenkungen geschmälert wurde, ist in § 2325 BGB ein Pflichtteilsergänzungsanspruch vorgesehen. Die Vorschrift wurde in Teilen durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts vom 24.9.2009 angepasst und regelt im Wesentlichen Folgendes:
I. Person des Anspruchsberechtigten
Rz. 218
Anspruchsinhaber kann nur sein, wer (abstrakt) dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehört. Das Bestehen eines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs ist nicht erforderlich, sodass auch für den gesetzlichen Erben oder sogar den Alleinerben Pflichtteilsergänzungsansprüche in Betracht kommen können. Voraussetzung ist lediglich, dass der Anspruchsteller weniger erhält, als es der Summe aus Ergänzungspflichtteil und ordentlichem Pflichtteil entspricht.
Rz. 219
Anspruchsberechtigt ist, wer im Zeitpunkt des Erbfalles zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählt. Nach früherer Rechtsprechung bezog sich der Schutzzweck des § 2325 BGB grundsätzlich nur auf diejenigen Personen, die sowohl im Zeitpunkt der Schenkung als auch beim Erbfall zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählen (sog. Doppelberechtigung des Pflichtteilsergänzungsberechtigten).
Rz. 220
Der BGH hat aber mit Urteil vom 23.5.2012 die Theorie von der Doppelberechtigung aufgegeben und dadurch die bisherige (potentielle) Ungleichbehandlung zu unterschiedlichen Zeitpunkten geborener Abkömmlinge beseitigt. Das tragende Argument der Entscheidung ist, dass es für die (bisherige) Forderung nach einer Pflichtteilsberechtigung nicht nur zum Zeitpunkt des Erbfalls, sondern auch zur Zeit der Schenkung keinen Anhaltspunkt im Gesetz gibt. Das gilt prinzipiell für alle Pflichtteilsberechtigten. Zwar hat sich der BGH ausdrücklich nur zu Abkömmlingen des Erblassers geäußert, allerdings gibt es keinen rechtlichen tragfähigen Grund, die Rechtslage bzgl. des Ehegatten anders zu beurteilen.
II. Schenkungsbegriff
1. Allgemeines
Rz. 221
Pflichtteilsergänzungsansprüche können nur durch diejenigen Schenkungen ausgelöst werden, die der Erblasser selbst ausgeführt hat. Der Schenkungsbegriff des § 2325 Abs. 1 BGB ist zwar grundsätzlich identisch mit dem der §§ 516, 517 und 1624 BGB. Das bloße Fehlen der objektiven Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung reicht aber für die Annahme einer unentgeltlichen Zuwendung nicht aus.
Rz. 222
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist ausschließlich der Zeitpunkt der Zuwendung, später eintretende Wertverschiebungen spielen grundsätzlich keine Rolle. Dessen ungeachtet können sich aber auch nachträgliche Entgeltvereinbarungen bzw. Leistungen zwischen dem Erblasser und dem (vermeintlich) Beschenkten auf die Qualifikation der vom Erblasser erbrachten Leistung als Schenkung auswirken. Der Pflichtteilsberechtigte hat solche nachträglichen Vereinbarungen gegen sich gelten zu lassen.
2. Einzelfälle
Rz. 223
Unter den Schenkungsbegriff des § 2325 BGB sind auch belohnende (sog. remuneratorische) Schenkungen zu subsumieren. Nach § 1624 Abs. 1 BGB gilt auch die Übermaßausstattung (hinsichtlich des Übermaßes) als Schenkung.
Rz. 224
Zum Teil umstritten ist der Schenkungscharakter von Abfindungsleistungen, die im Gegenzug für einen Erb- oder Pflichtteilsverzicht geleistet werden. Nach richtiger Auffassung können derartige Zuwendungen aber i.d.R. nicht als Entgelt angesehen werden, sie lösen daher Pflichtteilsergänzungsansprüche aus. Leistungen ...