I. Pflichtteilsverzicht
Rz. 310
Das Pflichtteilsrecht kann durch Vereinbarung zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten ausgeschlossen werden. In Betracht kommt hierzu sowohl ein Erbverzicht als auch ein (isolierter) Pflichtteilsverzicht. Sedes materiae sind die Vorschriften §§ 2346 ff. BGB. Es handelt sich in beiden Fällen um sog. erbrechtliche Verfügungsgeschäfte, die nicht lediglich schuldrechtlichen, sondern unmittelbar verfügenden Charakter haben.
Rz. 311
Der isolierte Pflichtteilsverzicht gem. § 2346 Abs. 2 BGB ist seinem Gegenstand nach auf das gesetzliche Pflichtteilsrecht des Verzichtenden beschränkt, sein gesetzliches Erbrecht (im Übrigen) lässt er jedoch unberührt. Rechtstechnisch betrachtet stellt der Pflichtteilsverzicht somit gegenüber dem (umfassenden) Erbverzicht i.S.v. § 2346 Abs. 1 BGB ein Weniger dar. Hieraus darf aber keinesfalls geschlossen werden, dass die mit einem Pflichtteilsverzicht möglicherweise einhergehenden wirtschaftlichen Konsequenzen weniger gravierend wären. Das Gegenteil ist der Fall. Denn gerade in solchen Fällen, in denen der Erblasser nicht in der Lage ist, mit allen in Betracht kommenden gesetzlichen Erben oder/und Pflichtteilsberechtigten Verzichtsverträge abzuschließen, bildet allein der Pflichtteilsverzicht die Möglichkeit, den erbrechtlichen Handlungsspielraum zu erweitern. Nur durch ihn wird es möglich, die Pflichtteilslast eines späteren Erben wirklich zu reduzieren.
Rz. 312
In formaler Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass es sich sowohl beim Erb- als auch beim Pflichtteilsverzicht um einen gegenseitigen Vertrag handelt, der gem. § 2348 BGB der notariellen Beurkundung bedarf. Der Vertrag kommt durch Angebot und Annahme zustande. Es ist daher dringend darauf zu achten, dass der durch den Pflichtteilsberechtigten erklärte Verzicht auch tatsächlich vom Erblasser angenommen wird. Von formalen Fehlern abgesehen, besteht das größte Risiko des Scheiterns eines Pflichtteilsverzichts darin, dass dieser durch ein später angerufenes Gericht für sittenwidrig gehalten werden könnte. Dies gilt insbesondere für entsprechende Vereinbarungen unter (zukünftigen) Ehegatten.
Rz. 313
Bei der inhaltlichen Ausgestaltung sind verschiedene Abstufungen des Verzichtsumfangs denkbar. Ebenso ist es möglich, den Verzicht von bestimmten Bedingungen, bspw. der Ausführung einer lebzeitigen Schenkung, der Zuwendung eines Vermächtnisses oder Ähnliches abhängig zu machen. In der Praxis sehr verbreitet ist auch der gegenständlich beschränkte Pflichtteilsverzicht, der insbesondere im Rahmen von Vereinbarungen zur vorweggenommenen Erbfolge hinsichtlich des jeweiligen Übertragungsgegenstands erklärt bzw. vereinbart wird.
II. Pflichtteilsentziehung
Rz. 314
Trotz des grundsätzlich bestehenden verfassungsrechtlichen Schutzes des Pflichtteilsberechtigten sind Situationen denkbar, in denen es dem Erblasser schlichtweg nicht zugemutet werden kann, dass dem Pflichtteilsberechtigten eine Mindestteilhabe am Vermögen zusteht. Voraussetzung hierfür ist, dass das familiäre Näheverhältnis zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem nicht nur nachhaltig gestört ist, sondern grob verletzt wurde. Die Gründe, die eine Pflichtteilsentziehung rechtfertigen können, zählt das Gesetz in den §§ 2333 ff. BGB abschließend auf. Eine entsprechende oder analoge Anwendung auf ähnliche Fälle ist ausgeschlossen.
Gemäß § 2333 Abs. 2 BGB sind die Gründe des Abs. 1 auf die Entziehung des Eltern- oder Ehegattenpflichtteils entsprechend anwendbar.
Rz. 315
Der Katalog der Entziehungsgründe in § 2333 Abs. 1 BGB ist abschließend. Gemäß § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB ist eine Pflichtteilsentziehung möglich im Fall der rechtskräftigen Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr ohne Bewährung, wenn hierdurch die Teilhabe des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass des Erblassers für diesen unzumutbar ist. Das Gleiche gilt, wenn die Unterbringung des Pflichtteilsberechtigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat angeordnet wurde. Gemeinsam ist allen Pflichtteilsentziehungsgründen, dass sie ein Verschulden des Pflichtteilsberechtigten und damit grundsätzlich seine Zurechnungsfähigkeit voraussetzen. Insoweit hat allerdings das BVerfG klargestellt, dass nicht der strafrechtliche Verschuldensbegriff maßgeblich ist, sondern die Feststellung, dass der Pflichtteilsberechtigte einen Entziehungsgrund mit "natürlichem Vorsatz" verwirklicht habe, ausreichen muss.
Rz. 316
Praxishinweis
Nichtsdestotrotz ist die praktische Relevanz der Pflichtteilsentziehung äußerst eingeschränkt. Dies umso mehr, als – nach wie vor – stets der zur Entziehung des Pflichtteils berechtigende Sachverhalt wenigstens in seinen wesentlichen Grundzügen in der letztwilligen Verfügung angege...