Rz. 345
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt nur der geltend gemachte Pflichtteilsanspruch der Erbschaftsteuer. Durch diese gesetzliche Regelung wird der Zeitpunkt der Steuerentstehung hinausgeschoben, was in erster Linie dem Schutz des Pflichtteilsberechtigten dient. Er soll davor bewahrt werden, dass für ihn auch dann Erbschaftsteuer anfällt, wenn er seinen Anspruch zunächst – oder gar dauerhaft – nicht erhebt. Korrespondierend zur Erbschaftsteuerpflicht des geltend gemachten Pflichtteils besteht für den pflichtteilsbelasteten Erben die Möglichkeit, diese Belastung im Rahmen der Ermittlung seines steuerpflichtigen Erwerbs wertmindernd in Ansatz zu bringen, § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG.
Rz. 346
Unter Geltendmachung versteht die Finanzgerichtsbarkeit seit jeher das ernstliche Verlangen auf Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs. Der Berechtigte muss seinen entsprechenden Entschluss in "geeigneter Weise bekunden". Dies kann auch mündlich oder durch schlüssiges Verhalten geschehen, die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zur Durchsetzung des Anspruchs ist nicht erforderlich. Eine Geltendmachung kann auch darin zu sehen sein, dass der Erbe die Auszahlung des Pflichtteils anbietet und der Berechtigte dieses Angebot annimmt. Dasselbe gilt, wenn der Berechtigte den Pflichtteilsanspruch stundet oder zunächst nur eine Teilzahlung begehrt, sich dabei aber vorbehält, auch die Restzahlung noch zu verlangen, ebenso wenn der Berechtigte Handlungen zur Sicherung der Erfüllung seines Pflichtteilsanspruchs vornimmt. Inwieweit auch die bloße Abtretung des Pflichtteilsanspruchs bereits als Geltendmachung zu werten ist, ist nicht abschließend geklärt.
Rz. 347
Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer ist grundsätzlich der Betrag, der dem Pflichtteilsberechtigten tatsächlich zusteht (also nicht unbedingt der Betrag, den er tatsächlich durchsetzen kann). Soweit allerdings ein Vergleich über die Höhe des Anspruchs geschlossen und dadurch ein zwischen den Parteien tatsächlich bestehender ernsthafter Streit über die Anspruchshöhe beigelegt wird, ist nach dem vergleichsweise vereinbarten, niedrigeren Wert zu besteuern.
Rz. 348
Soweit die Begleichung des Pflichtteilsanspruchs durch die Übertragung eines Grundstücks erfolgt, kann hierin, sofern es sich bei diesem Grundstück entweder um Betriebsvermögen handelt oder die Spekulationsfrist des § 23 EStG noch nicht abgelaufen ist, ein entgeltlicher Veräußerungsvorgang gesehen werden, der beim verpflichteten Erben zur Aufdeckung etwaiger stiller Reserven führt. Werden zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten monatliche Zahlungen vereinbart, kann es sich hierbei um eine nach § 22 Nr. 1 S. 2 EStG nicht steuerbare Unterhaltsrente handeln.
Rz. 349
Die erbschaftsteuerliche Behandlung des Pflichtteilsverzichts hängt maßgeblich vom Zeitpunkt der Verzichtserklärung ab. Grundsätzlich wäre in einem unentgeltlichen Verzicht eine ebenfalls steuerpflichtige freigebige Zuwendung (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) an den Erben zu sehen. Diese ist aber gem. § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG ausdrücklich von der Besteuerung ausgenommen. Hierdurch soll die Entschließungsfreiheit des Berechtigten gewahrt werden, den vor der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs bestehenden Schwebezustand durch Verzicht zu beenden, ohne hierdurch eine zusätzliche Steuerbelastung für den Erben auszulösen. Dasselbe gilt auch für die stillschweigende Unterlassung der Geltendmachung. Verzichtet der Pflichtteilsberechtigte erst nach der Geltendmachung seines Anspruchs, kann hierin bei einem unentgeltlichen oder teilentgeltlichen Verzicht eine im Ergebnis steuerpflichtige freigebige Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zugunsten des bzw. der Erben liegen. § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG greift in diesem Fall nicht ein, da gerade nicht auf die Geltendmachung des Anspruchs verzichtet wird, sondern auf den bereits geltend gemachten Anspruch.
Rz. 350
Den Pflichtteilsverzicht gegen Abfindung regelt § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG, wonach die erlangte Abfindung der Erbschaftsteuer unterliegt. Der Verzicht gegen Abfindung soll dabei auch nach Eintritt des Erbfalls noch möglich sein, ohne dass hierin gleichzeitig eine Geltendmachung des Pflichtteils zu sehen wäre. Diese Variante kann den Vorteil haben, zivilrechtliche Risiken im Zusammenhang mit Pflichtteilsstrafklauseln zu vermeiden, wenn hier nicht die einvernehmliche Pflichtteilsgeltendmachung als Enterbungsgrund ausgenommen ist. Ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S.v. § 42 AO ist hierin (wohl nur) dann zu sehen, wenn die vereinbarte Abfindungszahlung bis zum Ableben des zahlungsverpflichteten Erben aufgeschoben wird.