1. Allgemeines
Rz. 99
Bei der Anrechnung nach § 2315 BGB muss sich der Pflichtteilsberechtigte einen Vorempfang auf seinen ordentlichen Pflichtteil anrechnen lassen, sofern der Erblasser die Zuwendung mit einer entsprechenden Anordnungsbestimmung versehen hatte. Demnach reduziert sich der ordentliche Pflichtteil des Anrechnungspflichtigen um den so zu berücksichtigenden Vorempfang. Die Anrechnung führt ausschließlich zu einer Entlastung des Erben; auf die Pflichtteilsansprüche weiterer Pflichtteilsberechtigter wirkt sie sich nicht aus. Während an der Ausgleichung nach § 2316 BGB nur quotengleiche Abkömmlinge des Erblassers beteiligt sind, ist die Anrechnung bei allen Pflichtteilsberechtigten möglich. Die Ausgleichung erfolgt grundsätzlich kraft Gesetzes; für die Anrechnung ist immer eine Anrechnungsbestimmung des Erblassers erforderlich.
2. Anrechnungsbestimmung
Rz. 100
Die Anrechnungsbestimmung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die der Erblasser spätestens bei der Zuwendung treffen kann. Die Anrechnungsbestimmung in einer letztwilligen Verfügung genügt nicht. Die Bestimmung muss nicht ausdrücklich erfolgen, sondern kann auch stillschweigend ergehen, sie muss dem Zuwendungsempfänger aber bewusst werden und ihm die Möglichkeit eröffnen, die mit der Anrechnungsanordnung versehene Zuwendung anzunehmen oder zurückzuweisen. Die Formulierung "Anrechnung auf den Erbteil" anlässlich einer lebzeitigen Zuwendung ist dabei nicht als Anrechnungsbestimmung i.S.v. § 2315 BGB auszulegen; in Betracht kommt lediglich eine Ausgleichungsanordnung. Ausnahmsweise kann die Bestimmung auch nachträglich erfolgen, wenn die Voraussetzungen einer Pflichtteilsentziehung nach §§ 2333 ff. BGB vorliegen oder ein Pflichtteilsverzichtsvertrag entsprechenden Inhalts zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten geschlossen wird.
Rz. 101
Eine spätere Aufhebung von Anrechnungsbestimmungen kann der Erblasser formlos oder durch einseitige Verfügung auch von Todes wegen erreichen.
Rz. 102
Eine Anrechnungsbestimmung bei einer Zuwendung an einen Minderjährigen stellt grundsätzlich keinen rechtlichen Nachteil i.S.d. § 107 BGB dar.
3. Anrechnungspflichtige Zuwendungen
Rz. 103
Der Erblasser kann jede Art von lebzeitigen Zuwendungen mit einer Anrechnungsbestimmung verbinden. Voraussetzung ist aber, dass es sich um eine freigebige Zuwendung unter Lebenden handelt, sodass Zuwendungen, zu denen der Erblasser verpflichtet ist, außer Betracht bleiben. Der Begriff der Zuwendung geht jedoch weiter als der der Schenkung i.S.v. § 516 BGB, sodass z.B. auch Pflicht- und Anstandsschenkungen sowie Ausstattungen für eine Anrechnung nach § 2315 BGB in Betracht kommen. Bei gemischten Schenkungen beschränkt sich die Anrechnungsmöglichkeit auf den unentgeltlichen Teil. Dasselbe sollte auch für Schenkungen unter Auflage gelten.
4. Zuwendung an den Pflichtteilsberechtigten
Rz. 104
Eine Berücksichtigung im Rahmen von § 2315 BGB setzt voraus, dass der Erblasser die Zuwendung gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten selbst erbracht hat. Zuwendungen an Dritte, z.B. den Ehegatten des Pflichtteilsberechtigten, genügen nicht, es sei denn, Zuwendender und Pflichtteilsberechtigter haben vereinbart, dass es sich um eine Zuwendung an den Pflichtteilsberechtigten handeln solle.
5. Durchführung der Anrechnung
Rz. 105
Nach dem Wortlaut des Gesetzes vollzieht sich die Anrechnung, indem der Wert der Zuwendung dem Nachlass hinzugerechnet und ein "Anrechnungsnachlass" gebildet wird. Ob und mit welchem Wert die Zuwendung noch vorhanden ist, spielt dabei keine Rolle. Anschließend wird der Vorempfang in voller Höhe von dem aus dem Anrechnungsnachlass bestimmten Pflichtteil abgezogen. Die Bildung des Anrechnungsnachlasses erfolgt gesondert für jeden Pflichtteilsberechtigten, der eine anrechenbare Z...