Eberhard Rott, Dr. Michael Stephan Kornau
I. Grundstruktur des Behindertentestaments
Rz. 1
In Deutschland leben 7,8 Mio. schwerbehinderte Menschen. Es ist daher naheliegend, dass Erblasser behinderter Abkömmlinge diese im Falle des eigenen Todes vor dem Zugriff des Staates schützen möchten. Sie inkludieren daher in ihren letztwilligen Verfügungen Sonderregeln in Bezug auf das behinderte Kind. Ziel ist es, dass der Abkömmling die volle staatliche Unterstützung erhält, ohne dass das vererbte Vermögen hierfür eingesetzt werden muss. Verhindert werden soll, dass der Wert des Erbes den sozialhilferechtlichen Schonbetrag überschreitet, da ansonsten die Berechtigung für den Bezug von Leistungen entfällt. Da Behinderte häufig höhere Kosten zu bewältigen haben (z.B. Pflegeheim, Betreuung, medizinische Versorgung etc.), ist den Eltern in der Regel daran gelegen, dass die Erbschaft nicht dazu führt, dass das Kind keine Sozialleistungen mehr erhält, sondern dass es durch Mittel aus Erbschaft ein angenehmeres Leben führen kann. Die Kontrolle und Bestimmung der Zuwendungen erfolgt durch den Testamentsvollstrecker.
Rz. 2
Beispiel
Der Behinderte wird zum Alleinerben eingesetzt. Gleichzeitig wird Dauertestamentsvollstreckung angeordnet mit dem Aufgabenbereich der Verwaltung des Nachlasses bis zum Tode des Behinderten mit folgenden Vorgaben:
"Der Testamentsvollstrecker hat das vererbte Vermögen der Erbin in Form folgender Leistungen zuzuwenden:"
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Überlassung von Geldbeträgen in Höhe des jeweiligen Rahmens, der nach den jeweiligen einschlägigen Gesetzen einem Sozialhilfeempfänger maximal zur Verfügung stehen kann, |
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Geschenke zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten und zum Geburtstag, wobei bei der Auswahl der Geschenke auf die Bedürfnisse und Wünsche der Erbin ausdrücklich einzugehen ist, |
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Zuschüsse zur Finanzierung eines Urlaubs und zur Urlaubsgestaltung, |
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Zuwendung zur Befriedigung geistiger und künstlerischer Bedürfnisse sowie zur Befriedigung der individuellen Bedürfnisse der Erbin in Bezug auf Freizeit, wozu insbesondere auch Hobbys und Liebhabereien zählen. |
Für welche der genannten Leistungen das vererbte Vermögen verwendet werden soll, ob dieses also auf sämtliche Leistungen gleichmäßig oder nach einem bestimmten Schlüssel verteilt werden oder ob dieser nur für eine oder mehrere der genannten Leistungen verwendet wird, entscheidet der Testamentsvollstrecker nach billigem Ermessen, wobei er allerdings immer auf das Wohl der Erbin bedacht sein muss. Im Übrigen gelten für die Testamentsvollstreckung die gesetzlichen Bestimmungen.“
Praxishinweis
Die Einsetzung des Behinderten zum Vorerben und die Einsetzung der Geschwister oder deren Abkömmlinge ist angezeigt, wenn das Vermögen im Familienbesitz gehalten werden soll, weil damit auch ein späterer Sozialhilferegress bezüglich des ererbten Vermögens ausgeschlossen werden kann, der auf die Erben des Behinderten grundsätzlich zukommen kann. Diese können die Erbschaft (nach dem Behinderten, nicht die Nacherbschaft) aber durchaus ausschlagen, denn die nichtverbrauchten Mittel aus der Vorerbschaft stammen aus dem Nachlass des Erstverstorbenen und nicht aus dem des Behinderten.
II. Grundstruktur des Bedürftigentestaments
Rz. 3
Neben dem Behindertentestament gibt es auch das sogenannte Bedürftigentestament. Dieses zielt darauf ab, die Lebenssituation eines bedürftigen Erben zu verbessern. Denn sofern ein Bedürftiger (z.B.: Empfänger von ALG II oder bei Privatinsolvenz) erbt, zieht der Staat das Erbe als Ausgleich für die erhaltenen Sozialleistungen ein. Dies kann durch das Bedürftigentestament verhindert werden. Von seiner Grundstruktur her gleicht es dem Behindertentestament. Der Unterschied besteht darin, dass der Bedürftige grundsätzlich erwerbsfähig wäre, während der Behinderte regelmäßig aufgrund seiner Behinderung erwerbsunfähig ist. Es steht daher keine dauerhafte Gewährung von Sozialleistungen durch den Sozialleistungsträger im Raum.
III. Rechtliche Anerkennung der Gestaltungen
Rz. 4
Zum Behindertentestament kann mittlerweile von einer gefestigten Rechtsprechung ausgegangen werden. Der BGH hat mehrfach bestätigt, dass Verfügungen von Todes wegen, in denen Eltern eines behinderten Kindes die Nachlassverteilung durch eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer – mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen – Dauertestamentsvollstreckung so gestalten, dass das Kind zwar Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält, der Sozialhilfeträger auf dieses jedoch nicht zugreifen kann, grundsätzlich nicht sittenwidrig, sondern vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerke...