Prof. Dr. Robert Koch, Moritz Rumpff
Rz. 52
Anders als die Deckung für durch Vertrauenspersonen verursachte Schäden knüpft § 10 AVB-VSV an das Vorliegen einer der benannten Straftaten nach dem StGB an, bei denen es sich jeweils um Vorsatzdelikte handelt. Deckung besteht für Schäden infolge von Raub oder Diebstahl von Bargeld, Wertpapieren oder sonstigen Vermögensgegenständen, sofern sich diese in einem verschlossenen Tresor, Bankschließfach oder im Fall des Raubes im Gewahrsam einer Vertrauensperson befunden haben (Nr. 1 und 2). Die Beschränkung dient der Vermeidung von Überschneidungen mit der Einbruchdiebstahl- und Raubversicherung, in der i.d.R. keine Deckung für Bargeld und Wertsachen besteht (vgl. § 3 Nr. 5 a AERB 2010). Zur Mehrfachversicherung (§§ 77 ff. VVG) kann es indes im Bereich der nicht weiter spezifizierten sonstigen Vermögensgegenstände kommen, wobei § 10 AVB-VSV von der Subsidiaritätsklausel des § 16 AVB-VSV nicht erfasst ist.
Rz. 53
Die Deckung für Schäden infolge von Betrug beschränkt sich auf Fälle, in denen eine Vertrauensperson gefälschte Zahlungsmittel, Schecks oder Wechsel entgegengenommen (§ 10 Nr. 3 a AVB-VSV) oder aufgrund einer von einem Dritten gefälschten Anweisung, Bestellung oder Rechnung eine Zahlung oder Warenlieferung für ein versichertes Unternehmen ausgeführt hat (§ 10 Nr. 3 b AVB-VSV). Diese letzte äußerst praxisrelevante Fallgruppe bezeichnet die Fälle des Social Engineering, bei denen sich Dritte unter Vortäuschung einer falschen Identität in Zahlungs- und Liefervorgänge einschalten und Zahlung bzw. Lieferung an sich oder dritte Täter veranlassen. In diesen Fällen liegt weder ein Eingriff in das EDV-System (Rdn 58) des versicherten Unternehmens noch eine Informationssicherheitsverletzung i.S.v. Nr. A1–2 AVB-Cyber vor (s. Rdn 14), sodass der VSV erhebliche Bedeutung zukommt. Die Deckung für derartige Social-Engineering-Schäden nach § 10 Nr. 3 b AVB-VSV ist gem. § 13 AVB-VSV sublimitiert.
Rz. 54
Für die Auslegung strafrechtlicher Begriffe (Raub, Diebstahl, Betrug) gilt im Ausgangspunkt das auch im Strafrecht maßgebliche Sprachverständnis, worin der durchschnittliche VN durch die Formulierung in § 10 AVB-VSV bekräftigt wird, laut der Versicherungsschutz besteht für Schäden, die "durch folgende Straftaten im Sinne des Strafgesetzbuches der Bundesrepublik Deutschland zugefügt werden". Festumrissene Begriffe der Rechtssprache sind in diesem Sinne auszulegen, wenn nicht das allgemeine Sprachverständnis von der Rechtssprache deutlich abweicht. In Einzelfällen kann zweifelhaft sein, inwieweit die sehr feinsinnigen Abgrenzungsfragen der Strafrechtsdogmatik noch vom allgemeinen Sprachverständnis des durchschnittlichen VN erfasst sind. Bekanntlich erfüllt das klassische Bild des Raubüberfalls, bei dem sich der Täter die Beute aushändigen lässt, nicht den Tatbestand des Raubes (§ 249 StGB), sondern den der räuberischen Erpressung (§§ 253, 255 StGB). Zu eng dürfte es jedenfalls sein, für das Merkmal der "gefälschten" Anweisung, Bestellung oder Rechnung die Verwirklichung des Tatbestands der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) zu fordern, zumal diesbezüglich der ausdrückliche Verweis auf das StGB fehlt. Mit der Heros-Entscheidung des BGH ist zudem anzunehmen, dass die strafrechtliche Konkurrenzlehre dem durchschnittlichen VN nicht bekannt ist, sodass es für den Deckungsschutz in der VSV nicht maßgeblich ist, sollte eine Verurteilung etwa wegen Betruges aus Konkurrenzgründen ausscheiden.
Rz. 55
Während vormals die Ersatzpflicht des VR für einen durch außenstehende Dritte verursachten Schaden ausgeschlossen war, wenn dieser durch eine Vertrauensperson grob fahrlässig mitverursacht wurde, sehen die AVB-VSV einen entsprechenden Ausschluss nicht mehr vor. Eine Kürzung des Versicherungsschutzes gem. § 81 Abs. 2 VVG kommt in diesen Fällen allenfalls dann in Betracht, wenn die mitverantwortliche Person zugleich als Repräsentant des VN gehandelt hat.
Rz. 56
§ 12 AVB-VSV enthält besondere, über § 49 AVB-VSV hinausgehende Ausschlüsse für den Fall der Schadenverursachung durch Dritte (§ 10 AVB-VSV). Aus dem Versicherungsschutz herausgenommen sind danach Schäden, an denen ein Mitarbeiter eines Werttransportunternehmens oder ein (bösgläubiger) Gesellschafter eines versicherten Unternehmens beteiligt war. Kein Versicherungsschutz besteht weiter für Schäden im Zusammenhang mit Factoring. Hierunter wird der Forderungsverkauf verstanden, was als Finanzierungsinstrument oder Inkassomaßnahme Bedeutung erlangt. Bspw. beim Factoring-Geschäft mit ärztlichen Honorarforderungen ist die Abrechnung des privatliquidierenden Arztes (Chefarzt, leitender Angestellter) angesichts der z.T. fehlenden Überprüfbarkeit und Vereinbarungen zur Leistungserbringung durch Stellvertreter besonders missbrauchsanfällig und immer wieder Gegenstand der Rechtsprechung.