Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 142
Auch hinsichtlich der Unterhaltsrückstände aus der Zeit der Minderjährigkeit ist nur noch das jetzt volljährige Kind berechtigt, nicht aber der Elternteil, der das Kind bisher vertreten hat. Das gilt auch dann, wenn dieser Elternteil in der Vergangenheit den finanziellen Bedarf des Kindes sichergestellt hat, weil der barunterhaltspflichtige Elternteil keinen oder nur zu geringen Unterhalt gezahlt hat.
Rz. 143
Daraus ergeben sich für den bisher betreuenden Elternteil Probleme, denn dieser hat in der Vergangenheit nicht nur Betreuungsleistungen erbracht, sondern auch – quasi als Vorschuss auf den ausstehenden Unterhalt – noch eigene Geldmittel zur Versorgung des Kindes aufgewandt, das eigentlich der barunterhaltspflichtige andere Elternteil hätte zur Verfügung stellen müssen. Jetzt kann aber nur noch das Kind diese Unterhaltsrückstände gegen den zahlungspflichtigen Elternteil geltend machen und vollstrecken.
Rz. 144
Praxistipp:
Der Elternteil, der bisher den Kindesunterhalt geltend gemacht hat, muss also beachten:
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aus bereits bestehenden Titeln ist nur noch das Kind berechtigt. |
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die Vollstreckung durch den bisher vertretenden Elternteil ist auch hinsichtlich der Rückstände unzulässig. |
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auch noch nicht titulierte Rückstände können nur noch vom Kind gerichtlich geltend gemacht werden. |
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bereits eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen müssen umgehend gestoppt werden. |
Hinsichtlich der Unterhaltsrückstände bieten sich in der Praxis zwei Lösungswege an.
Der elegantere Weg ist die Abtretung des Unterhaltsrückstandes durch das jetzt volljährige Kind an den bisher betreuenden Elternteil. Das Abtretungsverbot der §§ 400 BGB, 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO gilt in diesem Fall nicht. Der bisher betreuende Elternteil ist dann materiellrechtlich berechtigt, den rückständigen Unterhalt selbst weiter geltend zu machen. Es besteht eine Vermutung dafür, dass der betreuende Elternteil den Barbedarf des Kindes in Höhe seines Unterhaltsanspruchs gedeckt hat, wenn das Kind bei ihm gelebt hat und der Barbedarf nach der niedrigsten – ersten – Gruppe der Düsseldorfer Tabelle zu berechnen war.
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Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, das volljährige Kind sei verpflichtet, seinen Anspruch auf rückständigen Unterhalt für die Zeit, in der es von dem einen Elternteil betreut und mit Barmitteln vollständig versorgt wurde, soweit der Anspruch also mit dem familienrechtlichen Ausgleichsanspruch dieses Elternteils kongruent ist, an diesen Elternteil abzutreten. |
Rz. 145
Der bisher betreuende Elternteil ist dann materiellrechtlich berechtigt, den rückständigen Unterhalt selbst weiter geltend zu machen. Es besteht eine Vermutung dafür, dass der betreuende Elternteil den Barbedarf des Kindes in Höhe seines Unterhaltsanspruchs gedeckt hat, wenn das Kind bei ihm gelebt hat und der Barbedarf nach der niedrigsten – ersten – Gruppe der Düsseldorfer Tabelle zu berechnen war.
Rz. 146
Allerdings lautet der in Verfahrensstandschaft erwirkte Titel noch auf den Namen des – jetzt volljährigen – Kindes. Daher muss der bisher betreuende Elternteil in Bezug auf den im Titel mit erfassten rückständigen Unterhalt bis zum Tage der Volljährigkeit des Kindes unter Hinweis auf die erfolgte Abtretung eine Teilausfertigung Titels im Umfang des bis zur Volljährigkeit aufgelaufenen Unterhaltsrückstandes beantragen.
Rz. 147
Praxistipp:
Es ist dem bisher betreuenden Elternteil dringend zu raten, den Weg über die Abtretung des rückständigen Unterhalts zu gehen.
Wird diese Möglichkeit nicht genutzt, bleibt dem Elternteil, der in der Vergangenheit das Kind unterhalten hat, nur der familienrechtliche Ausgleichsanspruch gegen den anderen Elternteil. Der Ausgleichsanspruch findet seine Rechtfertigung in der gemeinsamen elterlichen Verantwortung für das Kind und der sich daraus ergebenden Sonderverbindung mit wechselseitigen Rechten und Pflichten beider Elternteile.
Rz. 148
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs sind:
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eine bestehende (vom Unterhaltsschuldner nicht erfüllte) Barunterhalts-verpflichtung des Ausgleichsverpflichteten gegenüber dem Kind, |
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die Erbringung des Barunterhalts durch den ausgleichfordernden Elternteil, |
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nach BGH zudem die von vornherein bestehende Absicht des betreuenden Elternteils, vom anderen Ersatz zu verlangen. |
Rz. 149
Bei den mit Hilfe des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs geforderten Ersatzbeträgen handelt es sich wirtschaftlich gesehen um rückständige Unterhaltsleistungen, nämlich um Geldleistungen, die demjenigen zu erbringen sind, der die Unterhaltslast zunächst auf sich genommen hat. Daher besteht der Anspruch für die Vergangenheit nur in den Grenzen des § 1613 BGB. Der leistende Elternteil könnte den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch also erst ab seiner Aufforderung zur Auskunft über Einkünfte und Vermögen, ab Verzug oder ab Rechtshängigkeit beanspruchen. Sind solche rechtswahrenden Handlungen bisher nicht ergriffen, besteht jedenfalls für die vergangenen Zeiträume kein familienrechtli...