Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 93
Bei der Berechnung der anteiligen Haftung ergeben sich im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Elternteils einige Spezialfragen.
1. Höherer Selbstbehalt
Rz. 94
Gegenüber dem volljährigen Kind kann der in Anspruch genommene Elternteil einen höheren Selbstbehalt beanspruchen (derzeit 1.300 EUR).
2. Berücksichtigung von Ehegattenunterhalt
Rz. 95
Wird Ehegattenunterhalt gezahlt, ist vor der Berechnung der Haftungsanteile
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beim ehegattenunterhaltspflichtigen Elternteil der von ihm geleistete Ehegattenunterhalt in Abzug zu bringen, |
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beim ehegattenunterhaltsberechtigten Elternteil der erhaltene Ehegattenunterhalt seinem Einkommen hinzuzurechnen. |
Rz. 96
Auf der Ebene der Leistungsfähigkeit besteht kein unterhaltsrechtlicher Vorrang des volljährigen Kindes, dessen Anspruch lediglich den Rang nach § 1609 Nr. 4 BGB beanspruchen kann.
Rz. 97
Bedeutung hat jedoch der Unterhalt des volljährigen Kindes bereits auf der Bedarfsebene, da er bereits die maßgeblichen ehelichen Lebensverhältnisse der Ehefrau bestimmt hat. Denn die ehelichen Lebensverhältnisse im Sinne von § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB werden grundsätzlich durch die Umstände bestimmt, die bis zur Rechtskraft der Ehescheidung eingetreten sind. Nacheheliche Entwicklungen wirken sich auf die Bedarfsbemessung nach den ehelichen Lebensverhältnissen aus, wenn sie auch bei fortbestehender Ehe eingetreten wären oder in anderer Weise in der Ehe angelegt und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten waren. Da die Unterhaltspflicht gegenüber dem volljährigen Kind auch bei Fortbestand der Ehe eingetreten wäre, hat diese Verpflichtung auch die ehelichen Lebensverhältnisse bestimmt.
Rz. 98
Dies gilt einmal, wenn das Kind bereits während der Ehe aufgrund seiner Ausbildung bzw. seines Studiums als "Kostenfaktor" die ehelichen Lebensverhältnisse bestimmt hat. Dies wird aber auch entsprechend gehandhabt, wenn während der Zeit des Zusammenlebens der Eheleute das Kind noch nicht studiert hat, aber die später begonnene Ausbildung bzw. das Studium des Kindes beruht auf gemeinsamer Planung und gemeinsamem Entschluss der Eltern beruhte.
Damit bestimmt der (nachrangige) Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes die ehelichen Lebensverhältnisse und verringert somit auch den Unterhaltsbedarf der Ehefrau.
3. Wohnwert beim Volljährigenunterhalt
Rz. 99
Beim Minderjährigenunterhalt wird der Wohnvorteil (Wohnwert) grundsätzlich mit der bei einer Fremdvermietung erzielbaren objektiven Marktmiete bemessen (siehe § 18 Rdn 38).
Rz. 100
Noch nicht eindeutig geklärt ist, ob Ausnahmen bei volljährigen Kindern gemacht werden oder die objektive Marktmiete auch beim Unterhalt des volljährigen Kindes anzusetzen ist. Die Entscheidung des BGH vom 10.7.2013 betraf ein minderjähriges Kind. Im Hinblick auf die schwächere unterhaltsrechtliche Stellung des volljährigen Kindes wird in Anlehnung an die Vorgehensweise beim Elternunterhalt nicht der objektive Mietwert, sondern nur der ersparte angemessene Mietaufwand angesetzt.
4. Neuer Ehegatte/neuer Partner des unterhaltspflichtigen Elternteils
Rz. 101
Bei der Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Elternteils ist zwar der vorrangige Familienunterhaltsanspruch der jetzigen Ehefrau zu berücksichtigen, jedoch werden die jetzigen Lebensverhältnisse in der "neuen" Ehe durch den Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes geprägt. Daher ist bei der Bemessung ihres Ehegattenunterhaltes dieser Unterhaltsanspruch des Kindes vorab abzuziehen.
Rz. 102
OLG Hamm, Beschl. v. 12.3.2012 – 4 UF 232/11
Zitat
Für die Haftungsverteilung ist nicht der zu monetarisierende Familienunterhaltsanspruch abzuziehen, der seiner jetzigen Ehefrau gemäß §§ 1360, 1360 a BGB zusteht (hierzu grundsätzlich BGH in FamRZ 2009, 762). Denn tatsächliche Zahlungen werden auf den nicht auf eine Geldleistung gerichteten Familienunterhaltsanspruch der jetzigen Ehefrau des Antragsgegners gerade nicht erbracht. In der Regel sind aber nur diese bei der Ermittlung des vergleichbaren Einkommens der Ehegatten und damit der Haftungsquoten zu berücksichtigen. Auch sei die Betreuungsleistung für ein im Haushalt des Unterhaltspflichtigen lebendes minderjähriges Kind ist ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht zu monetarisieren und reduziert – anders als Barunterhaltspflichten – das Vergleichseinkommen des Pflichtigen nicht.
Beim Zusammenleben des unterhaltspflichtigen Elternteils mit einem neuen Partner kann sich aufgrund des Synergieeffektes eine Verringerung des Selbstbehaltes ergeben (siehe dazu § 15 Rdn 4).