Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 167
Wenn der bestehende Unterhaltstitel über den Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit des Kindes weiter gilt, ist von praktischer Bedeutung, auf welchem verfahrensrechtlichen Weg Veränderungen durchgesetzt werden können.
Dabei ist zu unterscheiden zwischen
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dem Herabsetzungsverlangen des Unterhaltspflichtigen und |
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dem Erhöhungsverlangen des Unterhaltsberechtigten. |
1. Verfahrensart
Rz. 168
Für beide Seiten kann eine Änderung der titulierten Unterhaltsverpflichtung nur mittels Abänderungsverfahren nach § 238 FamFG bei einem gerichtlichen Titel und gem. § 239 FamFG bei einem außergerichtlichen Titel erfolgen.
Rz. 169
Die wesentliche Änderung der für die Unterhaltsbestimmung maßgeblichen tatsächlichen Umstände liegt bereits im Eintritt der Volljährigkeit und in dem damit verbundenen Wechsel in die nächste Alterststufe der Düsseldorfer Tabelle sowie ggf. in der jetzt bestehenden anteiligen Barunterhaltspflicht auch des anderen Elternteils.
Rz. 170
Beteiligter dieses Abänderungsverfahrens ist immer das Kind, gleichgültig ob es auf Antragstellerseite oder Antragsgegnerseite das Verfahren führt.
Rz. 171
Der besondere Gerichtsstand des § 232 Abs. 1 Nr. 2 FamFG, nachdem immer das Gericht am Wohnsitz des Kindes zuständig ist, gilt für minderjährige Kinder und für privilegierte volljährige Kinder i.S.d. § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB, nicht aber für andere Volljährige. Zuständig ist dann nach der allgemeinen Zuständigkeitsregelung das Familiengericht am Wohnsitz des jeweiligen Antragsgegners.
2. Darlegungs- und Beweislast
Rz. 172
Die Tatsache der Volljährigkeit führt zu einer Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast auf das volljährige Kind, das das Fortbestehen der rechtlichen Grundlagen des Unterhaltsanspruchs und seine Bedürftigkeit darlegen muss, auch in einem Abänderungsverfahren des Unterhaltspflichtigen.
Rz. 173
Begründet wird diese zu Lasten des Kindes geänderte Beweislastverteilung damit, dass der Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes zwar mit dem des minderjährigen Kindes identisch ist, sich aber auf andere Grundlagen stütze. Das minderjährige Kind, das noch zur Schule geht, hat grundsätzlich einen Unterhaltsanspruch. Das volljährige Kind muss sich dagegen selbst unterhalten. Ein Unterhaltsanspruch besteht nur noch für die Zeit der Ausbildung, wobei der Unterhalt auch deshalb auf einer neuen Basis steht, weil grundsätzlich beide Elternteile barunterhaltspflichtig sind. Das Kind muss daher zu seiner Ausbildung und zu einem möglichen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Elternteil vortragen und diese Tatsachen ggf. beweisen.
Rz. 174
A.A.: OLG Karlsruhe v. 13.8.2015 – 5 UF 238/13
Zitat
Der die Abänderung seiner durch Jugendamtsurkunde titulierten Unterhaltspflicht begehrende Unterhaltsschuldner trägt die Beweislast für die Höhe seines Einkommens auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Unterhaltsberechtigten.
In dem hier entschiedenen Sonderfall lag die Unklarheit allein auf Seiten des bisher allein unterhaltspflichtigen Vaters, der sein – angeblich verringertes – Einkommen nicht nachgewiesen hat. Das OLG Karlsruhe hat daher ihm die Darlegungs- und Beweislast auferlegt, aber die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.
3. Anteilige Haftung beider Eltern
Rz. 175
Verlangt der Unterhaltsschuldner die Abänderung eines Titels über Kindesunterhalt aus der Zeit der Minderjährigkeit des inzwischen volljährigen Kindes, so muss der Berechtigte darlegen und beweisen, dass der Unterhaltsanspruch fortbesteht. Dazu gehört auch im Abänderungsverfahren eines Elternteils insbesondere der schlüssige Vortrag, welcher Haftungsanteil auf den antragstellenden Elternteil entfällt.
4. Taktische Überlegungen des Unterhaltspflichtigen
Rz. 176
Wird das unterhaltsberechtigte Kind volljährig, so erhöht sich der ihm nach der Düsseldorfer Tabelle zustehende Betrag. Insgesamt kann es also voraussichtlich einen höheren Gesamtunterhalt beanspruchen. Daher hat der Unterhaltspflichtige – auf den ersten Blick – gar kein Interesse, einen bestehenden Titel abzuändern.
Rz. 177
Es lohnt sich aber eine genauere Betrachtung. Denn in der Praxis bedeutet der Eintritt der Volljährigkeit nicht zwingend, dass der Unterhaltsberechtigte vom bislang allein unterhaltspflichtigen Elternteil tatsächlich mehr verlangen kann. Denn die anteilige Mithaftung des anderen Elternteils kann zu Verringerung der eigenen Haftung führen, und zwar auf jeden Fall in Abhängigkeit vom tatsächlichen Einkommen des anderen Elternteils, möglicherweise aber auch anhängig von dessen hypothetischen Einkünften.
Rz. 178
Diese anteilige Haftung besteht auch beim privilegierten volljährigen Kind. Die Darlegungs- und Beweislast des Kindes bezieht sich auch auf die Haftungsquote des bis zur Volljährigkeit des Kindes allein barunterhal...