A. Grundgedanken

 

Rz. 1

Über den Unterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes wird in der Praxis unabhängig von den hier erörterten zeitlichen Differenzierungen gestritten. Daher werden Voraussetzungen hier in einem gesonderten Abschnitt behandelt.

 

Rz. 2

Soweit ein volljähriges gemeinschaftliches Kind bislang noch in der Familie lebte oder auswärts wohnend von den Eltern gemeinschaftlich unterhalten worden ist, entsteht in der Praxis nach Trennung oder Scheidung der Eltern jetzt oft Streit über die Frage, welcher Elternteil in welchem Umfang für das Kind Unterhalt zahlen muss.

 

Rz. 3

Die Eltern sind verpflichtet, den Lebensbedarf des Kindes sicherzustellen. Zum Lebensbedarf des Kindes gehören daher gem. § 1610 Abs. 2 BGB auch die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf und die Kosten der Erziehung. Besucht das volljährige Kind noch die allgemeinbildende Schule, steht seine Unterhaltsbedürftigkeit nach den §§ 1602, 1610 Abs. 2 BGB außer Frage.[1]

 

Rz. 4

Umgekehrt ist daraus zu folgern, dass das Kind nach Abschluss seiner Ausbildung eine eigene Lebensstellung erreicht hat, daher grundsätzlich seinen Unterhalt selbst sicherstellen muss und keinen Unterhalt mehr von den Eltern verlangen kann.

 

Rz. 5

Macht ein volljähriges Kind Unterhaltsansprüche wegen seiner Ausbildung geltend, so sind in der Praxis folgende Fragen von Bedeutung:

Ist eine fortbestehende Unterhaltsbedürftigkeit des anspruchstellenden Kindes gegeben?
Wird eine begabungsbezogene, angemessene Erstausbildung angestrebt oder liegt eine nicht mehr zu unterstützende Zweitausbildung vor?
Genügt das Kind seinen unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten?
 

Rz. 6

Bei der Unterhaltsverpflichtung zur Finanzierung einer Ausbildung muss aber auch die Zumutbarkeit der Belastung für die unterhaltspflichtigen Eltern im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mit berücksichtigt werden. Dabei sind auch die schutzwürdigen Interessen anderer Familienmitglieder – also auch der Geschwister – von Bedeutung.

B. Ausbildungsunterhalt

I. Angemessene Ausbildung

 

Rz. 7

Jedes Kind hat nach § 1610 Abs. 2 BGB seinen Eltern gegenüber einen Anspruch auf eine angemessene Ausbildung,[2] die Begabungen, Fähigkeiten, Leistungswillen und Neigungen entspricht. Geschuldet wird daher von den Eltern eine optimale, begabungsbezogene Berufsausbildung. d.h. eine Ausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten des Kindes, seinem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen am besten entspricht. Den beim Kind vorhandenen persönlichen Voraussetzungen kommt dabei maßgebliche Bedeutung zu.[3]

 

Rz. 8

Hat das Kind eine solche Ausbildung erhalten, besteht in der Regel kein Anspruch gegen die Eltern auf Finanzierung einer Zweitausbildung oder nicht notwendigen Weiterbildung.[4]

 

Rz. 9

Ausnahmen werden nur unter besonderen Umständen angenommen:

wenn der Beruf etwa aus gesundheitlichen oder sonstigen, bei Ausbildungsbeginn nicht vorhersehbaren Gründen nicht ausgeübt werden kann oder
wenn das Kind von den Eltern in einen seiner Begabung nicht hinreichend Rechnung tragenden Beruf gedrängt wurde oder
die Erstausbildung auf einer deutlichen Fehleinschätzung der Begabung beruht,
wenn die weitere Ausbildung zweifelsfrei als eine bloße in engem sachlichem und zeitlichem Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg anzusehen ist und von vornherein angestrebt war oder
wenn während der ersten Ausbildung eine besondere, die Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich wurde.[5]
 

Rz. 10

Besondere Probleme können in der Praxis auftreten, wenn das Kind

einen einmal begonnenen Ausbildungsweg abbricht, um eine andere Ausbildung aufzunehmen (Ausbildungswechsel) oder
wenn nach einer abgeschlossenen Ausbildung eine weitere Ausbildung aufgenommen wird (Zusatzausbildung, Zweitstudium).

II. Ausbildungswechsel

 

Rz. 11

Ein Wechsel des Studienfachs nach dem Ablauf der Orientierungsphase mit der Folge erheblicher Verlängerung der Ausbildungsdauer muss unterhaltsrechtlich nur bei ausreichender Begründung hingenommen werden.[6] Ein Studienwechsel innerhalb der ersten 2 bis 3 Semester wird von der Rechtsprechung akzeptiert.

III. Zweitausbildung

 

Rz. 12

Dagegen kann das volljährige Kind nur in besonderen Ausnahmefällen von den Eltern die Finanzierung einer Zweitausbildung nach abgeschlossener Erstausbildung verlangen. Dies kann dann gegeben sein, wenn die Erstausbildung dem Kind aufgedrängt worden ist und nicht den wirklichen Neigungen und Begabungen des Kindes entsprochen hat.

 

Rz. 13

Die Frage, ob der Erstausbildung des Kindes eine Fehleinschätzung seiner Begabung zugrunde lag, kann nach den Verhältnissen beurteilt werden, die sich erst nach Beendigung dieser Ausbildung ergeben haben.[7]

 

Rz. 14

 

Praxistipp:

Liegt eine echte Zweitausbildung (also nach einer abgeschlossenen Erstausbildung) vor, so ist eine umfassende Zumutbarkeitsabwägung vorzunehmen.[8]
Die Belastung mit den Unte...

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