I. Aufklärungspflicht und Beweisantizipation

 

Rz. 68

Für den BGH (NJW 1994, 1484; NZV 2014, 532) ist die Frage, ob ein im Ausland zu ladender Zeuge vernommen werden muss, alleine daran zu messen, ob die Erhebung des beantragten Beweises ein Gebot der Aufklärungspflicht ist, denn nach seiner Auffassung gilt im Rahmen des § 244 Abs. 4 S. 2 StPO hier das Verbot der Beweisantizipation nicht. Das BVerfG (BVerfG NJW 1997, 999) sieht in dieser Auslegung durch den Bundesgerichtshof keinen Verstoß gegen Verfassungsrecht.

 

Rz. 69

Demnach kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines im Ausland zu ladenden Zeugen abgelehnt werden, wenn das Gericht der Auffassung ist, der Zeuge werde entweder die in sein Wissen gestellte Behauptung nicht bestätigen können, oder es sei sicher auszuschließen, dass die Aussage seine Überzeugungsbildung noch beeinflussen könne.

II. Umfang der Aufklärungspflicht

 

Rz. 70

Die Rechtsprechung stellt an den Richter vor allem dann keine besonders hohen Anforderungen, wenn zu dem entscheidenden Punkt Beweise erhoben sind, die zu einem eindeutigen Ergebnis führten und die Verteidigung dann einen nur mit Schwierigkeiten erreichbaren Zeugen benennt. So hat das AG Bad Hersfeld (NZV 2000, 137) z.B. im Fall eines Geschwindigkeitsverstoßes, in dem der Fahrer aufgrund eines eindeutigen Frontfotos zu erkennen war, keine Verletzung der Aufklärungspflicht darin gesehen, dass dem Hinweis des betroffenen Fahrzeughalters auf einen ihm ähnelnden und im Ausland wohnenden Zeugen als möglichen Fahrer nicht weiter nachgegangen worden war.

III. Unerreichbarkeit

 

Rz. 71

Lehnt allerdings das Gericht die Vernehmung eines Auslandszeugen mit der Begründung ab, der Zeuge sei unerreichbar, muss es (ohne dass es eines ausdrücklichen Antrages des Verteidigers bedürfte) von Amts wegen prüfen, ob nicht eine audiovisuelle Zeugenvernehmung gem. § 247a StPO möglich ist. Die Entscheidung selbst steht zwar im Ermessen des Gerichtes und ist als solche nicht revisibel, die Prüfung, ob eine solche Vernehmung infrage kommt, darf das Gericht allerdings nicht versäumen (BGH StraFo 1999, 409). Fraglich ist allerdings, ob dies (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) auch für das Bußgeldverfahren gilt.

IV. Bedeutung der Sache

 

Rz. 72

Die frühere Rechtsprechung (OLG Frankfurt StraFo 1998, 271), nach der bei der Entscheidung des Beweisantrages zumindest im Strafverfahren nicht auf die Bedeutung der Sache abgestellt werden durfte, ist überholt. Der BGH (NJW 2002, 2403) stellt nämlich sowohl auf das Gewicht der Strafsache als auch auf die Bedeutung und den Beweiswert des weiteren Beweismittels vor dem Hintergrund des Ergebnisses der bisherigen Beweisaufnahme sowie auf den zeitlichen und organisatorischen Aufwand der Ladung und Vernehmung ab. Die Entscheidung ist dann unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu treffen.

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