Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 996
Die Formulierung einer statischen Bezugnahmeklausel bereitet vor allem deshalb Schwierigkeiten, weil das BAG davon ausgeht, dass im Zweifel von den Parteien eine jedenfalls in zeitlicher Hinsicht dynamische Bezugnahme gewollt ist. Dies soll selbst dann gelten, wenn die Bezugnahme keine sog. Jeweiligkeitsklausel enthält. Überzeugend ist dies jedoch allenfalls bei tarifgebundenen Arbeitgebern und die Bezugnahme für den Arbeitnehmer erkennbar die Funktion einer Gleichstellungsabrede hat. Ob die Benennung eines konkreten Tarifvertrages auch bei der Hinzufügung eines konkreten Abschlussdatums ("in der Fassung vom …") für sich allein ausreicht, um eine zeitliche Dynamik auszuschließen, steht nach der derzeitigen Rechtsprechung des BAG nicht sicher fest. Hierfür bedarf es im Lichte der neueren Rechtsprechung des BAG wohl ausdrücklicher Anhaltspunkte im Wortlaut der Bezugnahmeklausel, da nur dann sichergestellt ist, dass auch für den Arbeitnehmer erkennbar eine Dynamik ausgeschlossen sein soll. In Betracht kommt hierfür ein klarstellender Zusatz, nach dem die Anwendung späterer oder anderer Tarifverträge einer ausdrücklichen und schriftlichen Abrede der Parteien bedarf (siehe Rdn 1011). Die Aufnahme eines derartigen Vorbehalts bietet sich als Alternative zu einem gleichfalls in Erwägung zu ziehenden Widerrufsvorbehalt im Hinblick auf die Dynamik an.
Rz. 997
Zu beachten bleibt allerdings, dass auch ein vorformulierter Vertrag jederzeit mündlich abgeändert werden kann und dies selbst eine doppelte Schriftformklausel – nach der Rechtsprechung des BAG – nicht ausschließt. Dies kann in der Praxis stets dann zu Problemen führen, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist, da er kraft des Tarifrechts zur Anwendung der Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung gezwungen ist. Wenn er in diesem Fall auch bei nichttarifgebundenen Arbeitnehmern den Tarifvertrag in der geänderten Fassung ohne vorherige ausdrückliche Abrede anwendet, dann ist dies im Hinblick auf den Empfängerhorizont (= Arbeitnehmer) mit der Gefahr verbunden, dass der in die Bezugnahmeklausel aufgenommene Ausschluss einer Dynamik konkludent aufgehoben worden ist. Vor einer derartigen Auslegung seines Erklärungsverhaltens kann sich der Arbeitgeber nur schützen, wenn er die Anwendung des neuen (geänderten) Tarifvertrages mit dem Arbeitnehmer zuvor schriftlich vereinbart oder eindeutige Erklärungen abgibt, die auf einen fehlenden Bindungswillen für die Zukunft hinweisen.
Rz. 998
Der vorstehend skizzierte Vorbehalt kann sich aus Sicht des Arbeitgebers allerdings als nachteilig erweisen, wenn der ausdrücklich benannte Tarifvertrag nachfolgend geändert wird und hierdurch die Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers verschlechtert werden (z.B. Verlängerung der Arbeitszeit, Absenkung von Vergütungsbestandteilen). Entsprechendes gilt, wenn infolge geänderter tatsächlicher Verhältnisse ein anderer Tarifvertrag im Betrieb zur Anwendung gelangen soll. In Betracht kommt dies bei einem nachfolgenden Verbandsbeitritt oder -wechsel, dem Abschluss eines Firmentarifvertrages bei Bezugnahme auf einen Verbandstarifvertrag sowie einem Betriebs(teil-)übergang. In diesen Konstellationen passt sich die Bezugnahme aufgrund ihrer statischen Formulierung nicht mehr automatisch an die geänderte tarifrechtliche Situation im Betrieb an. Dieser Nachteil kann jedoch in Kauf genommen werden, da der Arbeitnehmer jedenfalls wegen etwaiger Erhöhungen der im Tarifvertrag festgelegten Vergütung regelmäßig ein Interesse daran hat, den geänderten Tarifvertrag zur Anwendung zu bringen, und deshalb zu einer Neufassung der Bezugnahmeklausel bereit sein wird.