Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
a) Allgemeines
Rz. 1612
Vertragsstrafen verfolgen regelmäßig einen doppelten Zweck: Einerseits sollen sie den Schuldner zur ordnungsgemäßen Erfüllung einer Verbindlichkeit anhalten, mithin seine Vertragstreue sichern. Andererseits entbinden Vertragsstrafen den Gläubiger im Falle einer Pflichtverletzung von den Schwierigkeiten der Schadensberechnung und des Schadensnachweises; er kann die versprochene Geldsumme liquidieren, ohne die Voraussetzungen einer Schadensersatznorm darlegen und beweisen zu müssen.
Rz. 1613
Im Arbeitsrecht treten Vertragsstrafen, die üblicherweise primär an ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers (nicht des Arbeitgebers) anknüpfen, in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen auf. Überwiegend werden sie für die Fälle des Vertragsbruchs, der vertragswidrigen Auflösung oder des Nicht- oder verspäteten Antritts der Arbeitsstelle vereinbart; verbreitet ist zudem die Absicherung eines (nachvertraglichen) Wettbewerbsverbots durch eine Vertragsstrafenregelung. Vertragsstrafen zulasten des Arbeitgebers sind eine Ausnahmeerscheinung. Dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erfüllung des Arbeitsvertrages wird zumeist durch die Vorschriften des KSchG und über den Annahmeverzug hinreichend Rechnung getragen.
b) Abgrenzung
Rz. 1614
Im Gegensatz zur Vertragsstrafe fehlt Schadenspauschalierungen (vgl. hierzu Rdn 1347 ff.) die Erfüllungssicherungsfunktion, d.h. die Vereinbarung von pauschaliertem Schadensersatz soll dem Gläubiger allein den Schadensnachweis ersparen und den Schuldner nicht primär zur Erfüllung der Verbindlichkeit anhalten. Ein selbstständiges Strafversprechen liegt vor, wenn jemand eine Strafe für den Fall verspricht, dass er eine Handlung vornimmt oder unterlässt, zu deren Vornahme oder Unterlassung er rechtlich nicht verpflichtet ist. Betriebsbußen können aufgrund einer durch Betriebsvereinbarung in Kraft gesetzten Betriebsbußenordnung verhängt werden. Sie dienen nicht der Sicherung schuldrechtlicher Ansprüche des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis, sondern bezwecken die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Betrieb. Ausschlussfristen sehen für den Fall der Nichtvornahme einer Handlung keine zusätzlich als Strafe zu erbringende Leistung, sondern einen Rechtsverlust vor (siehe hierzu Rdn 626 ff.).
c) Wirksamkeitsgrenzen
Rz. 1615
Vertragsstrafen in Formulararbeitsverträgen sind generell zulässig. Sie scheitern nicht an § 309 Nr. 6 BGB. Danach ist zwar eine Bestimmung ohne Wertungsmöglichkeit unwirksam, durch die dem Verwender eine Vertragsstrafe versprochen wird, wenn sich der andere Vertragsteil vom Vertrag löst. Die angemessene Berücksichtigung arbeitsrechtlicher Besonderheiten (§ 310 Abs. 4 S. 2 BGB) führt aber zur Nichtanwendung dieser Vorschrift auf Formulararbeitsverträge. Gleichwohl werden Vertragsstrafen einer Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB unterzogen. Im Rahmen dessen ist bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt, inwieweit eine Einseitigkeit der Strafbewehrung von Vertragspflichtverletzungen eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB darstellt. Da allerdings im Rahmen von § 307 Abs. 1 BGB nicht jede unausgeglichene Beeinträchtigung eine unangemessene Benachteiligung darstellt, sondern Unangemessenheit nur vorliegt, wenn keine begründeten billigenswerten Interessen des Arbeitgebers vorliegen, ist zunächst weiterhin davon auszugehen, dass auch eine einseitige Strafbewehrung nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Regelung führt.
Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe im Berufsausbildungsverhältnis ist nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 BBiG hingegen nichtig.