Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
a) Allgemeines
aa) Erscheinungsformen
Rz. 911
Die Freistellung führt zur Suspendierung der Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis: Sie beseitigt den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers. Bei der unentgeltlichen Freistellung entfällt die Vergütungspflicht des Arbeitgebers. Erfolgt die Freistellung dagegen entgeltlich, behält der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch; er ist aber während des Freistellungszeitraums weder zur Arbeit verpflichtet noch berechtigt.
Rz. 912
Ein Arbeitnehmer hat ebenso wenig einen allgemeinen Freistellungsanspruch wie ein Arbeitgeber ein allgemeines einseitiges Freistellungsrecht. Stets bedarf es einer entsprechenden Vereinbarung (zu den Grenzen der Vertragsgestaltung s.u. Rdn 923 f.) oder einer gesetzlichen bzw. kollektivrechtlichen Rechtsgrundlage, sofern nicht ausnahmsweise überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Bezahlte Freistellung kann ein Arbeitnehmer z.B. gem. § 629 BGB zum Zwecke der Arbeitssuche nach erfolgter Kündigung verlangen. Ein Recht auf unbezahlte Freistellung besteht etwa bei der Pflege naher Angehöriger (§§ 2–4 PflegeZG, § 2 FPfZG) oder gemäß den Vorschriften zur Elternzeit (§§ 15 f. BEEG). Die einseitige Freistellung führt dabei grundsätzlich zur Nichtannahme der Arbeitsleistung und damit zum Annahmeverzug nach §§ 293, 615 S. 1 BGB, sodass der Arbeitnehmer weiter seinen Lohn enthält, soweit er sich anderweitigen Verdienst nicht nach § 615 S. 2 BGB anrechnen lassen muss.
Rz. 913
Einvernehmliche entgeltliche Freistellungen sind vor allem in Aufhebungsverträgen oder gerichtlichen Vergleichen weit verbreitet. Vorsorge für etwaige Freistellungen kann auch bereits im Arbeitsvertrag getroffen werden; hierdurch kann insbesondere die im Beendigungszeitraum bestehende Unsicherheit über das Bestehen eines einseitigen Freistellungsrechts vermieden werden.
Zu differenzieren ist außerdem zwischen der widerruflichen und unwiderruflichen Freistellung. Während der Arbeitgeber im Fall der unwiderruflichen Freistellung dauerhaft auf die Arbeitsleistung verzichtet, behält er sich im Rahmen der widerruflichen Freistellung vor, die Suspendierung der Arbeitspflicht einseitig aufzuheben und den Arbeitnehmer – ggf. unter Wahrung einer gewissen Ankündigungsfrist – an den Arbeitsplatz zurückzurufen. Welche Form der Freistellung vorliegt, sollte der Arbeitgeber in der Freistellungserklärung explizit erwähnen und ist andernfalls durch Auslegung zu ermitteln.
bb) Urlaubsansprüche
Rz. 914
Häufig sollen mit der Freistellung – insbesondere, wenn diese bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt – zugleich bestehende (Rest-)Urlaubsansprüche erfüllt werden. Dies setzt zunächst voraus, dass der Arbeitgeber hinreichend deutlich erkennen lässt, dass durch die Freistellung der Urlaubsanspruch erfüllt werden soll. Außerdem darf die Freistellung für die Zeit der Urlaubserteilung nicht widerruflich erfolgen. Nur die unwiderrufliche Freistellung verbraucht den Urlaubsanspruch. Die Unwiderruflichkeit muss allerdings nicht gesondert erklärt werden. Erfolgt die Freistellung ausdrücklich weder widerruflich noch unwiderruflich, aber in Anrechnung auf bestehende Urlaubsansprüche, liegt eine unwiderrufliche Freistellung vor, weil die Unwiderruflichkeit Rechtsfolge der Urlaubserteilung ist. Dagegen reicht es nicht aus, wenn der Arbeitnehmer widerruflich unter Anrechnung auf bestehende Urlaubsansprüche freigestellt wird; in diesem Fall behält der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Das gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer lediglich unwiderruflich, aber nicht unter Anrechnung der Urlaubsansprüche, freigestellt wird. Möglich ist auch, den Arbeitnehmer bis zur Erfüllung der noch bestehenden Urlaubsansprüche unwiderruflich, im Übrigen widerruflich freizustellen.
Rz. 915
Eine Freistellung unter Anrechnung auf den Urlaubsanspruch kann auch vorsorglich für den Fall der Unwirksamkeit einer ausgesprochenen ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung erklärt werden. Nach Rechtsprechung des BAG gewährt ein Arbeitgeber durch die Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben allerdings nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt. Für den Regelfall – Ausspruch einer ordentlichen Kündigung und Freistellung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – bleibt dies o...