Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1049
Anders als bei einer außerordentlich fristlosen Kündigung muss im Falle einer ordentlichen, also fristgemäßen Kündigung gleich durch welche Partei des Arbeitsvertrags die maßgebliche Kündigungsfrist eingehalten werden. Dies gilt unabhängig von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes.
Die maßgebliche Kündigungsfrist ergibt sich entweder aus dem Arbeitsvertrag, einem Tarifvertrag oder aus § 622 BGB.
Nach § 622 Abs. 1 BGB ist die gesetzliche Kündigungsfrist nur während der ersten zwei Jahre des Arbeitsverhältnisses für die arbeitgeber- und die arbeitnehmerseitige Kündigung gleich. Sie beträgt vier Wochen, und zwar entweder zum 15. oder zum Ende eines Monats. Diese Grundkündigungsfrist soll dem jeweiligen Vertragspartner hinreichend Zeit geben, auf die Kündigung zu reagieren.
Rz. 1050
Im Falle der Vereinbarung einer Probezeit kann das Arbeitsverhältnis mit einer verkürzten Frist von zwei Wochen zu jedem Termin gekündigt werden. Nach § 622 Abs. 3 BGB darf die Probezeit längstens sechs Monate betragen. Seit dem 1.8.2022 gehört die Dauer der Probezeit zu den nachweispflichtigen Tatbeständen gemäß § 2 Abs. 2 S. 2 NachwG. Von der Probezeit zu unterscheiden ist die sechsmonatige Wartezeit für den Kündigungsschutz nach § 1 KSchG. Anders als diese gesetzliche Wartezeit muss die Probezeit nach § 622 Abs. 3 BGB mit der Folge der verkürzten Kündigungsfrist ausdrücklich vereinbart werden.
Die vereinbarte Probezeit muss sich innerhalb der von § 622 Abs. 3 BGB vorgegebenen Höchstgrenze von sechs Monaten halten.
Die in einem Formulararbeitsvertrag vereinbarte Probezeitdauer von sechs Monaten unterliegt gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB nicht der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Durch die formularmäßige Vereinbarung einer für beide Vertragsteile gleichermaßen geltenden sechsmonatigen Probezeit nutzen die Parteien lediglich die gesetzlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und weichen hiervon nicht ab.
Bewegt sich die vereinbarte Dauer der Probezeit im Rahmen des § 622 Abs. 3 BGB, findet infolgedessen eine einzelfallbezogene Angemessenheitsprüfung der vereinbarten Dauer der Probezeit nicht statt (zu tarifvertraglichen Abweichungen vgl. Rdn 1061). Der Vereinbarung einer sechsmonatigen Probezeit in einem auf ein Jahr befristeten Arbeitsverhältnis für eine relativ einfache Tätigkeit als Transportmitarbeiter dürfte nunmehr Art. 8 Abs. 2 S. 1 RL 2019/1152/EU entgegenstehen. Demnach haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass bei befristeten Arbeitsverhältnissen eine in Bezug auf Tätigkeit und Dauer der Befristung verhältnismäßige, kürzere Probezeit vorzusehen ist. Zur Probezeitbefristung siehe Rdn 1062.
Rz. 1051
Besteht das Arbeitsverhältnis zwei Jahre oder länger, verlängert sich die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber nach Maßgabe des § 622 Abs. 2 BGB, und zwar auf maximal sieben Monate zum Monatsende nach 20-jährigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses. Für die Berechnung der Beschäftigungsdauer ist allein der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses maßgeblich, rein tatsächliche Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Kommt es indessen zu einer rechtlichen Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses, werden Zeiten früherer Arbeitsverhältnisse bei demselben Arbeitgeber nur eingerechnet, wenn diese in einem engen sachlichen Zusammenhang zum aktuellen Arbeitsverhältnis stehen.
Maßgeblich ist im Übrigen die Dauer der Beschäftigung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Die frühere Bestimmung des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB, wonach Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt werden, ist durch Art. 4d Qualifizierungschancengesetz mit Wirkung zum 1.1.2019 aufgehoben worden. Der Aufhebung vorangegangen war die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache "Kücükdeveci" hinsichtlich der Unvereinbarkeit von § 622 Abs. 2 S. 2 BGB mit dem Verbot einer Diskriminierung wegen des Alters. § 622 Abs. 2 S. 2 BGB war demzufolge auf Kündigungen, die nach dem 2.12.2006 erfolgt sind, nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht mehr anwendbar. Einem Arbeitgeber, der sich nach dem 2.12.2006 auf die Anwendbarkeit des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB verlassen hatte, war kein Vertrauensschutz zu gewähren.